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Mirko Slomka

© dpa

Schalke-Coach Slomka: "Wir kratzen an der Spitze“

Schalkes Trainer Mirko Slomka spricht mit dem Tagesspiegel über strittige Personalentscheidungen, die Analyse des Glücks und den nächsten Versuch, Meister zu werden.

Herr Slomka, warum wird die neue Saison für Schalke erfolgreicher als die vorige?

Noch erfolgreicher? Ich finde, dass wir schon eine sehr erfolgreiche Saison in der Bundesliga gespielt haben.

Ihnen fehlt der Titel.

Jeder hier lechzt natürlich nach der Schale. Aber wir werden an dieser Frage nicht verzweifeln. Unsere Ziele sind auch in dieser Saison sehr forsch und mutig: Ich bin fest davon überzeugt, dass Schalke die Qualität besitzt, Deutscher Meister zu werden. Schalke muss in jedem Jahr an der Spitze kratzen.

Wenn Sportler überraschende Erfolge erzielt haben, sagen sie, dass sie noch eine Weile brauchen, bis sie alles begreifen. Wie lange haben sie gebraucht, um zu begreifen, dass Stuttgart Meister ist?

Ich hatte gar keine Zeit, das zu begreifen. Als es nach unserer Niederlage in Dortmund wahrscheinlich war, dass Stuttgart Meister wird, musste ich meine Mannschaft auf das letzte Spiel vorbereiten. Das war die wichtigste Woche meiner Trainerlaufbahn. Da hat mich Stuttgart nicht interessiert.

Und nach der Saison?

Da erst recht nicht mehr.

Jetzt spielt Schalke zum Saisonauftakt in Stuttgart. Kommt Ihnen das Duell angesichts der Vorgeschichte gelegen?

Es gibt keine Vorgeschichte. Es lag ja nicht am VfB, dass wir nicht Meister geworden sind.

Sie müssen sich auf viel Häme einstellen. Wie gehen Sie damit um, dass Sie mit dem Bayer-Leverkusen-Klassiker „Ihr werdet nie Deutscher Meister“ verhöhnt werden?

Wenn wir gewonnen haben, gehen wir in die Kurve und singen zurück: „Wir werden doch Deutscher Meister.“ Alle zusammen. Die Häme ist ja nicht ganz neu für uns. Sie wird aber wohl noch stärker sein, weil wir den Titel mehr oder weniger weggeworfen haben. Aber interessanterweise haben sich auch unsere Fans damit beschäftigt und beim Pokalspiel in Trier mit viel Selbstironie ein Lied gesungen. Das geht so: „Schalke gewinnt, Schalke gewinnt – bis wir wieder Zweiter sind!“

Vor einem Jahr haben Sie die „totale Dominanz“ Ihrer Mannschaft ausgerufen, fürchten Sie diesmal die totale Dominanz der Bayern?

Ich fürchte gar nichts, auch die Bayern nicht. Weil ich weiß, dass wir gut gearbeitet haben. Wir sind gestärkt aus der vergangenen Saison hervorgegangen. Die Motivation ist gut, das Gerüst unserer Mannschaft ist zusammengeblieben, wir haben eine eingespielte Truppe, nicht nur auf dem Platz. Die Spieler halten jetzt stärker zusammen. Sie lassen sich nichts mehr gefallen, verteidigen sich gegenseitig – auch mal gegen den Trainer, vor allem aber gegen den Gegner.

Aber Sie haben Ihre Mannschaft nicht so aufgerüstet, wie Bayern das getan hat.

Ich habe ganz großen Respekt, wie die Bayern ihre Linie durchgezogen haben. Nur: Der Druck auf Ottmar Hitzfeld wird in dieser Saison immens sein. Wenn die Bayern nicht jedes Spiel 3:0 gewinnen, haben sie schon ein Problem. Spielertypen kann man kaufen, eine Mannschaft muss sich erst finden.

Sie setzen mannschaftliche Geschlossenheit dagegen?

Die allein wird nicht reichen. Erfolg hat vor allem etwas mit Qualität zu tun. Genau aus diesem Grund hat Bayern diese Qualität eingekauft. Wenn wir zum Beispiel in der Champions League gegen internationale Topteams bestehen wollen, müssen wir taktisch sehr gut sein, wenn nicht sogar besser als der Gegner.

Spricht da der Mathematiker aus Ihnen?

Ich hasse Mathematik.

Aber Sie haben Mathematik studiert.

Ja, weil ich vorher nicht gewusst habe, dass es so grausam ist. Im Abitur hatte ich noch super Spaß mit dem Matheleistungskurs, im Studium nicht mehr. Da habe ich gemerkt, dass ich mehr der Sportler bin.

Wann kommt der Mathematiker durch?

Relativ selten, höchstens in der Spielanalyse, oder wenn es darum geht, was räumlich auf dem Platz passiert: Wo bilden sich Dreiecke? Wo Rauten? Ich glaube, dass ich einen Blick für den Raum habe. Aber hat das was mit Mathematik zu tun? Wenn etwas an mir mathematisch ist, dann vielleicht, dass ich strukturiert bin. Ich gehe meinen Beruf so an, wie man auch eine Matheaufgabe löst – mit Struktur.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wir analysieren die Dinge, die sich in der Saison abzeichnen. Vor einem Jahr haben wir unsere Spielanlage beäugt und festgestellt, dass wir mehr Schnelligkeit nach vorne benötigen. Deshalb haben wir in Peter Lövenkrands investiert. Die Schnelligkeit haben wir jetzt, aber wir müssen sie auch ständig zur Verfügung haben. Wenn wir am Ende der letzten Saison nicht so viele Verletzte gehabt hätten, wären wir möglicherweise Meister geworden. Es geht nicht, dass wir immer nur neue Spieler holen. Deshalb haben wir unseren Stab verändert – mit Struktur.

Was können Sie am besten in Ihrem Beruf?

Ich hoffe, ich kann so viele Dinge gut, dass ich lange Cheftrainer bleibe.

Ihre analytischen Fähigkeiten werden immer wieder gelobt.

Wenn du vor deiner Mannschaft stehst und ihr etwas mitgibst, müssen die Spieler am Ende sagen können: Der Trainer hat Recht gehabt. Wenn ich da unsere Punkteausbeute der letzten anderthalb Jahre sehe, kann ich so falsch nicht gelegen haben. Das ist entscheidend, um akzeptiert und respektiert zu werden. Ob das jetzt analytisch ist, freundschaftlich, motivierend, laut, leise oder was auch immer – das ist egal. Unter dem Strich steht: Der Trainer hat gesagt: So geht’s, und wir haben gewonnen.

Wie bekommen Sie eine Rückmeldung?

Das Spiel ist die Rückmeldung: wenn ich merke, dass meine Vorgaben zum Erfolg führen. Es ist egal, ob ich Mathematiker bin oder nicht. Ich kann mir als Trainer tausend tolle Sachen überlegen, ich kann alles analysieren, Leistungsdiagnostik machen, rauf und runter. Am Ende müssen die Spieler sagen: Die letzten beiden Trainingstage waren perfekt, ich habe mich super gefühlt. Unsere Taktik war klasse. Die Spieler auf dem Platz waren genau die richtigen. Am Ende steht das Ergebnis.

Wie in der Mathematik: Am Ende muss die Rechnung aufgehen.

Ja, aber den Vergleich halte ich jetzt für ein bisschen sehr weit hergeholt.

Der erfolgreichste aktive deutsche Trainer hat auch Mathematik studiert.

Sie meinen Ottmar Hitzfeld?

Ja. Zufall?

Das kann ich nicht sagen, ich weiß ja nicht, wie der Ottmar arbeitet. Aber wie ich ihn als Experten fürs Fernsehen erlebt habe – da fand ich ihn schon sehr analytisch, vorbereitet und strukturiert. Es war nicht so, dass man gedacht hat: Ah, jetzt sitzt der Ottmar Hitzfeld da, hat das Spiel gesehen und sagt, was ihm gerade einfällt. Da war auch in der Analyse eine Struktur.

Würde Ihre Frau Sie auch als analytischen Menschen bezeichnen?

Schöne Fragen sind das. Ich hoffe, Sie sagt: Ich bin ein liebevoller Mensch.

Als Fußballer sind Sie nicht über die Verbandsliga hinausgekommen …

… stattdessen habe ich mich mit Mathematik und mit Trainingslehre beschäftigt. Heute würde ich wahrscheinlich in der Viererkette spielen – als Mathematiker mit strategischen Fähigkeiten.

Ist es typisch für einen Trainer, der selbst nicht hochklassig gespielt hat, dass er sich mehr vom Verstand leiten lässt?

Keinesfalls. Manchmal sind Bauchentscheidungen genau die richtigen, gerade bei Aufstellungen.

Ihre spektakulärste Personalentscheidung, den Wechsel im Tor von Frank Rost zu Manuel Neuer, haben Sie damit erklärt, dass Rost das Glück abhanden gekommen sei. War dieser Entschluss das Ergebnis einer Analyse oder eine Bauchentscheidung?

Analyse. Das Ergebnis aus Fakten.

Aber wie analysiert man Glück?

Manchmal hält man einen Ball glücklich, manchmal nicht. Die vielen Gegentore und die problematischen Situationen im Training haben gezeigt, dass Frank das Glück, den Ball vielleicht gerade noch mit der Hand zu erwischen, nicht mehr hatte.

Sind Sie als analytischer Mensch denn glücklich damit, jemandem zu sagen, dass er kein Glück mehr hat?

Ich konnte das ja auch an den Fakten festmachen. Ich habe mit Frank schon lange vor der Entscheidung zusammen gesessen und mit ihm darüber gesprochen, wie wir was besser machen können.

Sie gelten als Trainer, der Schalke mit seiner analytischen Herangehensweise nachhaltig verändern könnte. Aber wie sehr hat eigentlich Schalke Sie verändert?

Ich glaube nicht, dass ich mich sehr verändert habe. Vielleicht hat sich mein Umgang mit den Spielern verändert. Das Verhältnis ist nach wie vor freundschaftlich, nur die Distanz ist etwas größer als zu der Zeit, als ich noch Kotrainer war. Ich bezeichne das immer als kritische Nähe. Beide Seiten sollten korrekt und kritisch miteinander umgehen.

Während Ihres Studiums haben Sie als Ski- und Tennislehrer gearbeitet. Was haben Sie daraus mitgenommen?

Mir liegt es wohl ein bisschen im Blut, vor einer Gruppe zu stehen. Ich habe gemerkt, dass ich Gruppen motivieren kann, dass ich ihnen mit meiner Art etwas auf den Weg geben kann.

Was können Sie am besten: Skilaufen, Fußball oder Tennis?

Skifahren. Immer noch.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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