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Sport: Schlafmittel in der Trinkflasche

Calcio im freien Fall: Ein neuer Wettskandal durchzieht Italiens Fußball, sieben Personen wurden verhaftet

Es begann mit einem Autounfall. Der Spieler Carlo Gervasoni verlor beim Heimweg von einer Drittliga-Partie seines Klubs Cremonese die Kontrolle über sein Fahrzeug. Weil auch einige seiner Teamkameraden Schwindelanfälle erlitten hatten, stellte der Verein medizinische Untersuchungen an, die zu einem Schlafmittel führten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben: Der Torwart von Cremonese, Marco Paolini, hatte das Mittel in die Getränke seiner Mitspieler gemischt. „Wir haben schnell begriffen, dass nicht nur diese Begegnung manipuliert werden sollte, um größere Summen über Sportwetten zu gewinnen“, sagte der Staatsanwalt von Cremona, Roberto Di Martino, der „Gazzetta dello Sport“. „Es existierte eine Gruppe von Personen, die regelmäßig Spiele mit Hilfe einzelner bestochener Profis zu manipulieren versuchte. Es handelt sich um mindestens 18 Partien.“ Laut Di Martino handelt es sich bei den Beschuldigten um „Spieler, ehemalige Spieler und Unternehmer, die gern wetten“.

Fünf Jahre nach dem Skandal um Luciano Moggi, den früheren Manager von Juventus Turin, wird der italienische Fußball erneut von einem Manipulationsskandal erschüttert. Der einst strahlende Calcio ist zu einem dreckigen Hinterzimmergeschäft verkommen, in dem die Fotografien der Größen Rossi, Baggio und Vialli immer mehr vergilben. Ein Spiel in der Serie A, fünf in der Serie B und zwölf in unteren Ligen sollen verschoben worden sein. Darunter befinden sich vier Partien der aktuellen Wiederaufsteiger in die Serie A, Atalanta Bergamo und AC Siena. Sieben von 16 beschuldigten Personen wurden verhaftet. Die Prominentesten sind die früheren Nationalspieler Cristiano Doni, der jetzt in Bergamo spielt, und Giuseppe Signori, der der Kopf der Bande sein soll.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wollte der mutmaßliche Schlafcocktailmixer aus Cremona auch die Begegnung Inter Mailand gegen US Lecce beeinflussen. Torwart Paolini soll Geschäftspartnern versprochen haben, über befreundete Spieler von Lecce eine Niederlage mit drei Toren garantieren zu können. Das Spiel endete 1:0 für Inter. Laut abgehörten Telefonaten haben die Wettpartner Paolini danach massiv unter Druck gesetzt. „Die Leute kommen wirklich zu dir, um dich zu kriegen. Du gibst mir ganz schnell die 13 000 Euro. Hol dir das Geld, von wo immer du denkst, aber bringe es mir“, zitierte die „Gazzetta dello Sport“ die Drohungen aus den Abhörprotokollen.

Vor allem in Bergamo ist das Entsetzen über die Enthüllungen der Aufstiegsumstände groß. „Die Aufstiegsfeier scheint Lichtjahre entfernt“, klagte ein Fan. Viele Anhänger hoffen aber, dass Geschichte sich wiederholt. Vor zehn Jahren geriet Doni bereits in einen Bestechungsskandal, wurde aber freigesprochen. Atalantas Trainer Stefano Colantuono bezeichnete die Vorwürfe in der „Gazzetta dello Sport“ zwar als „einen Witz“. „Wir haben uns den Aufstieg auf dem Feld erkämpft“, sagte er.

Szene-Insider halten Doni jedoch für spielsüchtig. „Das System ist krank. Um ihren Geliebten Geschenke machen zu können, wetten Profis am Samstag auf Spiele, die sie am Sonntag bestreiten“, sagte ein Funktionär der Tageszeitung „Repubblica“. „Auch Spielervermittler, Trainer und Präsidenten zocken – letztere, um die Löcher in ihren Bilanzen zu stopfen.“

Manipulationen nahmen in den vergangen Jahren zu, parallel zum Niedergang des italienischen Fußballs. Beim ersten Bestechungsskandal 1980 wurden der AC Mailand und Lazio Rom mit Zwangsabstiegen bestraft, 1986 wurden Udinese und Lazio je neun Punkte abgezogen. 2000 folgte das erste Verfahren gegen Doni. Mitangeklagter war der heutige Trainer des AC Mailand, Massimo Allegri. 2004 betraf ein Skandal Modena und Siena. 2006 schließlich ereignete sich der Skandal um Moggi und sein dauersiegendes Juventus Turin. Die Staatsanwälte beantragten am Mittwoch fünf Jahre und acht Monate Haft für Moggi, Juventus stieg zur Strafe ab.

Der in Cremona mit dem Schlafmittel geschädigte Spieler Gervasoni beteiligte sich Wochen nach seinem Autounfall laut Staatsanwaltschaft übrigens selbst an Manipulationen.

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