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Sport: Schlagen, treten, reißen

Auf den Langstrecken liefern sich die Schwimmer Nahkämpfe im Wasser – auch bei der EM in Budapest

Berlin - Es gab eine Videoaufzeichnung, die Täterin war leicht zu überführen. Britta Kamrau-Corestein zog Gina Mohr am Badeanzug und riss sie nach hinten. Das Ziel war schließlich nur noch 60 Meter entfernt, und Mohr lag auf Platz drei. Als sie anschlug beim Zehn-Kilometer-Rennen der deutschen Meisterschaft im Langstreckenschwimmen, war sie nur Sechste. Damit hatte sie die Qualifikation für die EM in Budapest verpasst. Vor drei Wochen war das, in Erfurt – Kamrau-Corestein wurde disqualifiziert. Die Titelverteidigerin über zehn Kilometer darf daher heute in Ungarns Hauptstadt über diese Distanz nicht antreten.

In Ungarn schwimmt sie trotzdem, gestern wurde die dreimalige Weltmeisterin Fünfte über fünf Kilometer. Es siegte die Russin Jekaterina Seliwerstowa. Auch über 25 Kilometer startet die Rostockerin Kamrau-Corestein. Denn für Örjan Madsen, den Sportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV), ist Kamrau-Corestein auch Opfer der Umstände: Mehrere Athletinnen hatten sich im Zieleinlauf unfair verhalten. Die 20-jährige Svea Schröder erlitt sogar eine Gehirnerschütterung. Es habe auf der ganzen Strecke Rangeleien gegeben, sagte Madsen. Wegen der offensichtlich unklaren Rechtslage wurde Gina Mohr über zehn Kilometer nicht nachträglich nominiert.

Einige Athletinnen haben sich beim DSV beschwert. Denn bei den Langstreckenschwimmern geht es immer rauer zu. Langstreckenschwimmen ist Nahkampf im Wasser, das war auch gestern in Ungarn so. Da wird geknüppelt, gerangelt, getreten und am Badeanzug gerissen. Langstreckenschwimmer kennen unterwegs keine Langeweile. „Man achtet ständig auf die Gegnerinnen, auf den Trainer, auf die eigene Position“, sagt Angela Maurer, aktuelle Deutsche Meisterin über zehn Kilometer. „Bei den Wendebojen ist es normal, dass man den anderen am Bein zieht“, sagt Christian Hein, der am Mittwoch über zehn Kilometer EM-Bronze holte (siehe Kasten).

Kämpfe gegen Konkurrenten sind nur Teil des Leidens. Kämpfe gegen die eigenen Schmerzen sind noch schlimmer. Angela Maurer hat die Belastungen über 25 Kilometer einmal so beschrieben: „Nach zweieinhalb Stunden wurden meine Arme dick. Ich habe noch mal zwei Stunden gebraucht, bis ich mich wieder gefangen habe. In den letzten zwei Stunden bekam ich Schulterschmerzen.“ Über fünf Kilometer sind die Schmerzen nicht geringer, schließlich gehen die Athleten auch hier ans Limit. Beine, Schultern, Nacken, alles tut weh. Angela Maurer nimmt deshalb gegen die Schmerzen „eine Voltaren und drei Aspirin“. Und Thomas Lurz, der am Mittwoch über zehn Kilometer Europameister wurde, hat einmal gesagt: „Ohne Schmerztabletten hält das keiner durch.“

Zusätzlich mischen auch noch die Betreuer mit. „25-Kilometer-Rennen sind längst zu einer hochdramatischen Angelegenheit geworden“, sagt Schwimmer Christian Hansmann. „Hier wird taktiert, geschrien, geschlagen. Die Betreuer arbeiten fast noch mehr als die Schwimmer.“ Sie fahren neben den Schwimmern in einem Begleitboot. „Man braucht da wirklich jemanden, der einen zusammenbrüllt“, sagt Hansmann. „Man hat Höllenqualen, und der Trainer muss helfen, dass man den inneren Schweinehund überwindet.“ Das gilt für alle Athleten. Doch in einem Punkt gibt es Unterschiede. Christian Hein sagt: „Bei den Frauen ist das Gebrüll der Betreuer noch lauter.“

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