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Schlussfeier: Für Momente vereint

Vancouver verabschiedet sich von den Olympischen Spielen als freundliche, weltoffene Stadt. Doch die Schlussfeier bot auch Momente der Nachdenklichkeit

Spaß hatte John Furlong, der Organisationschef, für die olympische Schlussfeier versprochen. Und der Spaß fing damit an, dass Furlongs Leute nicht ordentlich aufgeräumt hatten. Als der offizielle Kehraus im BC Place Stadium begann, lagen überall noch die weißen Schnipsel, die 16 Tage zuvor bei der Eröffnungsfeier als papierne Schneeflocken von der Hallendecke gesegelt waren. Ein charmanter Seitenhieb auf den oft porentief reinen Olympia-Betrieb – und der gelungene Einstieg in eine Abschiedszeremonie, die von einer Überdosis an kanadischem Patriotismus bis hin zum kunterbunten Musik-Mix als einstündigem Rausschmeißer einiges zu bieten hatte.

Rausschmeißer aus einer Stadt, die den meisten Menschen vor drei Wochen in der Regel als einer der schönsten Flecken der Welt bekannt war. Für die atemberaubende Landschaft rund um die Stadt gilt das uneingeschränkt. Darüber hinaus wissen jetzt aber auch viel mehr Menschen als vorher, dass Vancouver auch eine feuchte Ecke ist.

Mit dem Sieg im Eishockey-Finale gegen die USA (siehe Artikel unten) durfte diese schöne, feuchte Stadt auch noch Kanadas wichtigstes – viele meinen: das einzig wichtige – Gold dieser Spiele feiern. Der erste Platz in der Medaillenwertung hatte seine ultimative Krönung bekommen. Und John Furlong durfte noch stolzer als ohnehin schon ins BC Place Stadium marschieren, um dort zu sprechen.

Und der grauhaarige Mann mit den kantigen Gesichtszügen nutzte die Gelegenheit erwartungsgemäß, um das für ihn entscheidende Vermächtnis dieser Olympia-Ausgabe nochmals mit reichlich Inbrunst herauszustreichen. IOC-Präsident Jacques Rogge hatte er vorher schon zugeflüstert, was die Kanadier zu hören bekommen sollten. Rogge („Die Spiele haben das Land vereint“) folgte brav, und Furlong verkaufte die These in der ganz in Weiß getunkten Arena dann noch einmal, und zwar mit voller Wucht.

Salbungsvoll sprach er davon, dass die Kanadier nun „stärker, vereinigter und verliebter in unser Land“ seien. Und, ja: „stärker miteinander verbunden als je zuvor“. Bei solchen Sätzen dämmerte es den ausländischen Gästen erst, welche starken Spannungen in diesem multikulturell geprägten Einwandererland herrschen müssen. Nach der Eröffnungsfeier hatten die kanadischen Medien die extrem dürftige Darstellung der ethnischen Vielfalt kritisiert und darauf hingewiesen, dass in Kanada neben Englisch auch Französisch gesprochen wird.

„Am Ende“, versuchte Furlong vor dem Schlussakkord nun zu besänftigen, „wird es keinen Zweifel mehr geben, dass wir ein zweisprachiges Land sind – und das auch feiern.“ Er streute in seine Rede denn auch einige Brocken Französisch ein. Im Beisein der vier Häuptlinge der First Nations, auf deren ehemaligem Territorium die Winterspiele ausgetragen wurden, bekam der Organisationschef dafür etwas Applaus. Der lauteste Moment des Abends, an dem noch einmal dem georgischen Rodler Nodar Kumaritaschwili gedacht wurde, der am Tag der Eröffnungsfeier beim Training getötet worden war, kam aber, als Furlong den Namen „Alexandre“ aussprach.

Gemeint war: Alexandre Bilodeau, der Freestyler, der Kanada beim dritten Versuch nach 1976 und 1988 das erste Gold bei einem Olympia-Heimspiel geschenkt hatte. 13 weitere Siege folgten – doch als nur der Vorname genannt war, gerieten die Kanadier fast in Ekstase. In dem Moment, als das Geschrei verhallte, war aber ebenfalls schon klar, dass erfolgreich absolvierte Spiele nicht eine Gesellschaft innerhalb von zwei Wochen verändern können.

Sport, vor allem Wintersport, wird in Kanada eine Domäne der Weißen bleiben. Zudem mögen kanadische Sportlerinnen auch künftig mehr Medaillen gewinnen als ihre männlichen Kollegen – doch auch in Zukunft dürfen die Männer hemmungslos saufen, während Eishockeyspielerinnen, die gerade Olympiasieger geworden sind, mit Bier, Champagner und Zigarren doch bitte runter vom Eis und zum Feiern in die Kabinen gehen sollen.

Es ist eine Illusion, dass 14 Goldmedaillen den Kern einer Nation ändern. Wunderbare, manchmal vielleicht etwas laute, vor allem aber sehr coole Olympische Spiele waren es trotzdem. In dieser schönen, feuchten Stadt namens Vancouver.

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