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Sport: Schöne teure Fußballwelt

Immer neue Extras wollen die Funktionäre für die WM 2006. Die Arenen kosten nun 50 Millionen Euro mehr.

Als Jürgen Kießling zum ersten Mal die 141 Seiten durchblätterte, musste er lachen. „Im Bereich der Mannschaftsumkleiden ist eine ausreichende Anzahl von Haartrocknern (mindestens fünf Stück) zu installieren“, las er im Pflichtenheft zur FußballWM 2006. Das nationale Organisationskomitee (OK) hat im Namen des Weltverbandes Fifa allen WM-Städten und Stadionbauern das Anforderungsheft zugestellt. „Sehr detailliert“ nennt es Kießling, der die zwölf Austragungsstädte vertritt, sich aber zu Details nicht äußert. Ebenso wie das OK hält er die Fifa-Pflichten unter Verschluss. Doch dem Tagesspiegel liegt das Dossier vor. Recherchen ergaben, dass die Arenen wegen der aufgelisteten Extrawünsche mindestens 50 Millionen Euro teurer werden als bislang bekannt. Allein für Berlins Olympiastadion, in dem das Finale stattfindet, soll nach Informationen aus der Stadiongesellschaft ein zusätzlicher zweistelliger Millionenbetrag anfallen.

Grund sind vor allem neue Standards für die Sicherheit – etwa ein Zugangssystem mit elektronisch lesbaren Eintrittskarten. Auch wird um alle Stadien ein Sicherheitsring gezogen, mit einem „2,50 Meter hohen Zaun“. Verärgert sind viele Stadionbetreiber über geforderte Zusatztribünen für die Presse und einen noch exklusiveren Vip-Bereich (siehe unten). Bei ihren Kontrollgängen gaben Fifa und OK zu verstehen, dass sie sich neben den Arenen riesige Zeltdörfer für ihre Sponsoren wünschen. Zudem sollen überall zusätzliche Pressezentren entstehen – mit eigenem Zugang, Strom, Wasser und modernster Technik. „Die Vermarktungsflächen können der Fifa nicht groß genug sein“, sagt Erwin Saile, WM-Koordinator von Kaiserslautern und Geschäftsführer des Fritz-Walter-Stadions. In seiner Verwaltung wird mit Mehrkosten von etwa fünf Millionen Euro gerechnet. Von ähnlichen Summen gehen Stuttgarts Organisatoren aus. „Das Geld müssen wir vom Gemeinderat holen“, fürchtet der dortige WM-Beauftragte Günther Kuhnigk.

Das OK gibt einen Mehrbedarf zu. „Anpassungen waren nötig, aber die Mehrkosten sind nicht entscheidend“, sagt Sprecher Gerd Graus. Die neuen Forderungen wurden den Betreibern vor zwei Jahren geschickt. Damals hatte in vielen Städten der Umbau schon begonnen. So hatten die Planer in Leipzig ein 100 Quadratmeter großes Pressezentrum vorgesehen, im Pflichtenheft bezifferte die Fifa den Bedarf aber auf 2500 Quadratmeter. Detailliert beschrieben und grafisch dargestellt sind nun jedes Kamerapodest, jeder Kommentatorenplatz. Im Pflichtenheft von 1998, Grundlage vieler Planungen, war davon keine Rede.

Den Großteil der Mehrkosten muss der Steuerzahler tragen. Fast alle Spielstätten sind öffentlich gefördert oder abgesichert. Beispiel Frankfurt am Main: Der Ausbau des Waldstadions wird von der Stadt vorfinanziert. Der Bauaufwand ist um drei Prozent gestiegen, behördliche Auflagen zum Brandschutz taxieren die Betreiber auf gut acht Millionen Euro. „Dazu kommen Fifa-Kosten von rund zehn Millionen Euro“, rechnen die Bauherren vor. Ähnlich ist es in Leipzig: Wünsche der Stadt und des Investors, des Kinowelt-Pleitiers Michael Kölmel, kosten einige Millionen, die Fifa-Extras machen nach Berechnungen von Leipziger Insidern zehn Millionen Euro aus. Nun streiten Stadt und die neue Besitzerin, Kölmels Ehefrau, ums Geld. Und im Stadion spielt Sachsen Leipzig gegen den Abstieg in die Viertklassigkeit.

Mancher Bauherr versteckt seinen Ärger nicht mehr. Die Arena München hat mit der Fifa noch keinen Mietvertrag abgeschlossen, ebenso andere Städte. „Knackpunkt ist die Vermarktung der Logen“, sagt Geschäftsführer Bernd Rauch. In Verhandlungen versucht er, Münchner Geschäftsleuten, die Logen mieten, Zugang zu WM-Spielen zu verschaffen. Im Pflichtenheft steht: „Inhaberlogen haben keine Nutzungsrechte während der WM.“ Auch in Köln, wo die Mehrkosten zwei Millionen Euro betragen, hofft man auf ein Zweitkaufsrecht für die Lokalprominenz. Das OK will helfen. „Wir stellen den Städten in den nächsten Tagen neue Mietverträge zu“, sagt Sprecher Graus.

In fertigen Arenen wird derweil nachgerüstet. In Hamburg entsteht auf der Gegentribüne ein zweiter Vip-Bereich, in Dortmund wird die Stehplatztribüne mit Sitzplätzen ausgestattet. In beiden Städten werden die Zusatzkosten auf fünf Millionen Euro geschätzt. Bei der Arena auf Schalke war niemand zur Stellungnahme bereit, in Hannover wird noch gerechnet. In Nürnberg, wo die Renovierung andauert, sind die Mehrkosten von zwei Millionen Euro bereits einkalkuliert.

Verantwortliche in dieser Stadt können eher über das lachen, was sich die Fifa alles ausgedacht hat: Lautsprecheranlagen mit einem „Schalldruckpegel von 105 Dezibel“, Lagerräume für Fifa und Organisationskomitee von 650 und 300 Quadratmetern („trocken und beleuchtet“) sowie Masten für „die Aufhängung von mindestens fünf Fahnen“. Immerhin einen Wunsch haben die Funktionäre zurückgenommen: ein Entwicklungszimmer für Fotografen. Im Pflichtenheft heißt es: „Die herkömmliche Dunkelkammer mit Wasser und spezieller Beleuchtung ist nahezu gar nicht mehr gefragt.“

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