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Sport: Schönheit schlägt Schönheit

Tschechien und Holland zeigen eindrucksvoll, was offensiver Fußball ist

Man muss sich das Dasein der Technischen Kommission der Uefa wohl als ein sehr angenehmes vorstellen. Ihre Mitglieder genießen alle Vorzüge der Ehrengastbehandlung, sie dürfen sich die Spiele der Fußball-EM anschauen, und ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, kurz nach dem Abpfiff den „Man of the Match“, den Spieler des Tages, zu bestimmen. Es kommt nur selten vor, dass dies eine quälende Pflicht ist. Am Samstag muss das so gewesen sein, beim 3:2-Sieg der Tschechen gegen die Holländer, als Pavel Nedved zum herausragenden Akteur gekürt wurde. „Er hat sich das verdient“, sagte sein Mannschaftskamerad Tomas Rosicky.

Niemand wird das bestreiten. Drei Gelbe Karten hatte der spanische Schiedsrichter den Holländern gezeigt, alle nach Fouls an Nedved. Der Tscheche war überall, er war die Lunge seiner Mannschaft und auch deren Gehirn. Aber genauso gut hätte an diesem Abend Rosicky den Preis verdient gehabt, der die tschechischen Angriffe einleitete und als letzter Mann van Nistelrooy den Ball vom Fuß grätschte. Oder Milan Baros, der ein Tor geschossen und eines vorbereitet hatte. Oder Jan Koller, dito. Oder der allgegenwärtige Edgar Davids, der das holländische Mittelfeld zusammenhielt, kurz vor der Pause den Pfosten traf und dadurch das 3:1 für sein Team verpasste. Sie alle hätten zum Besten des Spiels der Spiele gewählt werden können.

Pavel Nedved, Europas Fußballer des Jahres, hatte „etwas Großartiges“ erlebt: „Für uns war es ein fantastischer Tag, ein fantastischer Abend, ein fantastisches Spiel.“ Nach nicht einmal 20 Minuten hatten die Tschechen durch Tore von Bouma und van Nistelrooy 0:2 zurückgelegen. Aber sie drehten das Spiel. „Das schafft nicht jeder“, sagte Rosicky. Koller traf in der 23. Minute zum 1:2, Baros erzielte 20 Minuten vor Schluss den Ausgleich, und nachdem der holländische Verteidiger Heitinga nach seinem zweiten Foul an Nedved vom Platz geflogen war, gelang Smicer in der vorletzten Minute der Siegtreffer. „Mit unserer Offensive kann man alles machen“, sagte Tomas Ujfalusi, der Verteidiger, der für den HSV spielt. „Das Ende war super.“

Das ist eine unzulässige Verknappung eines atemberaubenden Schauspiels, das knapp 30 000 Zuschauer in Aveiro miterleben durften. Nicht nur das Ende war super, 94 Minuten lang, von der ersten Sekunde des Spiels bis zur letzten der Nachspielzeit, hatten beide Mannschaften das Hohe Lied der Offensive gesungen und damit dem bisher vorherrschenden Defensivdenken bei dieser EM eine ansehnliche Alternative entgegengesetzt. „Das war das schönste Spiel, das ich je gespielt habe“, sagte Rosicky.

Als Bouma die Holländer in der vierten Minute in Führung schoss, hatten die Tschechen bereits zwei gute Chancen vergeben, und nach dem 2:3 besaß van der Vaart noch eine exzellente Gelegenheit, den Ausgleich zu erzielen. „Das Angriffsspiel war fantastisch“, sagte Hollands Stürmer Ruud van Nistelrooy. „Aber es ist ein seltsames Gefühl, nach einem solchen Spiel den Sieg noch aus den Händen gegeben zu haben. Das ist unvorstellbar.“ Bezeichnenderweise verloren die Holländer, weil Dick Advocaat einen Stürmer (Arjen Robben) vom Platz holte und durch einen Defensivmann (Paul Bosvelt) ersetzte.

Ganz anders die Tschechen. Nach dem 2:0 für die Holländer schickte ihr Trainer Karel Brückner Vladimir Smicer zum Warmmachen. Der offensive Mittelfeldspieler stand gerade zur Einwechslung bereit, als Koller den Anschlusstreffer erzielte. Es gibt Trainer, die Smicer in einer solchen Situation zurück auf die Bank befohlen hätten, um unter den veränderten Bedingungen mit der ursprünglichen Formation weiterzuspielen. Brückner aber holte seinen rechten Verteidiger Grygera vom Feld, brachte Smicer und sagte nach dem Spiel mit einem ironischen Lächeln, der Sieg sei ein Ergebnis seines geschickten Coachens gewesen. Der Zauber dieses Abends hatte selbst den sonst so mürrischen Brückner beseelt.

Als erstes Team haben sich die Tschechen für das Viertelfinale qualifiziert. Zweimal hatten sie dazu einen Rückstand aufholen müssen, zweimal gewannen sie. Neben herausragenden individuellen Fähigkeiten könnte es sich als die größte Stärke der Tschechen erweisen, dass sie die eigene Nachlässigkeit besiegt haben. Nach 20 Spielen ohne Niederlage hatten sie kurz vor der EM gegen Irland und Japan verloren und damit wieder Zweifel an ihrer Qualität erweckt. „Die Niederlagen sind zum richtigen Zeitpunkt gekommen“, sagte Rosicky. „Wir waren schon ein bisschen im Himmel.“ Nun sind sie wieder dort angekommen.

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