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Nora Tschepe-Wiesinger, Schülerreporterin der "Paralympics Zeitung".

© Thilo Rückeis

Schüler schreiben: "Das wird dich umhauen"

Wie ergeht es einem beim Paralympics Word Cup, wenn man plötzlich selbst mit einem Ellenbogen in Gips unterwegs ist? Ein Workshopbericht.

„Das wird dich umhauen“ – mit diesen Worten verabschiedet mich mein Vater, als ich mich auf den Weg zur Britischen Botschaft in Berlin mache. Er soll recht behalten.

Der Empfang anlässlich der in genau hundert Tagen am 29. August in London beginnenden Paralympics hat mich umgehauen! Als ich der querschnittsgelähmten Profi-Schwimmerin Kirsten Bruhn die Hand schüttele, kann ich noch nicht ahnen, dass ich mich in genau zwei Stunden selbst in einem Rollstuhl wiederfinden werde.

Der Grund: Ein gebrochener Ellenbogen, dazu ein mehr als angeknackstes Selbstbewusstsein. Letzteres hervorgerufen durch eine kurzzeitige Ohnmacht vor sämtlichen in der Botschaft anwesenden Journalisten, Fotografen und Athleten.

Anfängerpech oder Schicksal?

Immerhin bin ich auf einem Empfang, dessen Ziel es ist, die Paralympics 2012 in London, die 14. Weltspiele für Menschen mit Behinderung einzuleiten.

Und jetzt habe ich mich durch meinen Ellenbogen selbst „behindert“ und fühle mich augenblicklich eingeschränkt. Auf einmal steht meinen unmittelbaren Träumen und Zielen eine ‚geschlossene Olekranonfraktur’, wie mich die Ärzte im Krankenhaus unnötigerweise aufklären, im Weg.

Und nun? Die Dame am Flughafen sagt mir, ich könne mit „so einem Arm“ unmöglich fliegen. Muss ich aber! Und zwar als Nachwuchsjournalistin für die Paralympics Zeitung zum BT Paralympics Worldcup nach Manchester. Ich ernte fragende Blicke. Was für eine Zeitung das sei und wo genau ich hin müsste, fragt sie nach. Nach Minuten des Erklärens und Wartens, die sich eher anfühlen wie Stunden, lässt sie mich schließlich doch fliegen – auf eigene Verantwortung.

In Eigenverantwortung müssen auch die Teilnehmer des BT Paralympic Worldcups agieren, wenn sie auf dem Spielfeld nicht länger eingeschränkt sind durch ihre körperliche Behinderung, sondern selbstbewusste, überaus ehrgeizige Sportler und Sportlerinnen.

Von genau diesem Ehrgeiz kann ich in Manchester trotz gebrochenen Ellenbogens an diesem Wochenende Zeuge werden. Ich bin Teil eines 20köpfigen Schüler-Redaktionsteam, das während der Paralympischen Spiele in London vor Ort mit dabei sein wird, um anschließend Artikel über die stattgefundenen Wettkämpfe zu schreiben.

Sie stürzen, sie richten sich wieder auf

Die Tage in Manchester dienen zum Aufwärmen, eine Art Schnupperkurs in Sachen Behindertensport und Zeitung machen.

Erneut haut es mich beim Anschauen der Wettkämpfe im Rollstuhlbasketball und 7-a-side-Football um, doch diesmal bin ich nicht die Einzige. Auch die Rollstuhlbasketballer fallen das ein oder andere Mal mitsamt ihrem Rollstuhl um, schaffen es jedoch immer wieder binnen Sekunden, sich komplett alleine aufzurichten und weiterzuspielen. „Das ist halt nicht nur so Rehabilitationsprogramm für die Behindis, sondern richtiger Sport“, äußert sich Edina Müller, Nationalspielerin bei den deutschen Rohllstuhlbasketballerinnen schon vor dem Worldcup in einem Fernsehbeitrag des NDR zu ihrer Leidenschaft fürs Basketball spielen.

Die Teilnehmer in Manchester haben gelernt, mit ihrer Behinderung umzugehen, sogar viel mehr als das. Sie haben es trotz fehlender, verformter oder gefühlloser Beine bis in die Nationalmannschaft gebracht.

Mitunter beginne ich zu vergessen, dass die Menschen auf dem Spielfeld vor mir als „behindert“ eingestuft werden. Zwar fehlt ihnen das rechte oder linke Bein, doch an Geschick, Ambition und dem nötigen Selbstvertrauen scheint es hier niemandem zu mangeln.

Diese Leidenschaft fürs Spiel, die Wendigkeit und Schnelligkeit im Rollstuhl und der zu spürende Kampf- und Teamgeist begeistern mich und stecken an. Ich muss darüber nachdenken, dass einige Spielerinnen aus dem britischen Basketball-Team nicht älter sind als ich selbst. Maddie Thompson ist mit 17 Jahren die jüngste im Rollstuhl sitzende Basketballerin eines Nationalteams. Ich bin grade 18 geworden und jammere über einen gebrochenen Ellenbogen. Wie anders wäre mein Leben verlaufen, würde ich wie Maddie von Geburt an im Rollstuhl sitzen und nur ein Bein haben? Würde ich dennoch genauso stark und selbstbewusst sein und um den Weltmeistertitel kämpfen?

Miterleben, Mitfühlen

Martin Mansell, ehemaliger paralympischer Spitzensportler und Mitveranstalter des Workshops hatte recht, als er uns, den 20 Nachwuchsjournalisten, während den Vorbereitungen gesagt hat, dass Paralympischer Sport nicht nur etwas zum Anschauen und aus der Ferne bewundern ist. Vor allem ist es etwas zum Miterleben, zum Mitfühlen, etwas, das verändert.

Was ich der Flughafen-Dame auf ihre Frage, ob sich der kurze Flug bis nach Manchester mit meinem Arm denn überhaupt gelohnt hat und unbedingt nötig war, antworten kann? Ja, Yes, Oui, Si! Auf jeden Fall.

Paralympischer Sport kann jeden umhauen – und allen Zweiflern zum Trotz führt diese Begeisterung nur in den seltensten Fällen bis ins Krankenhaus.

Nora Tschepe-Wiesinger

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