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Benjamin Scholz, Schülerreporter der "Paralympics Zeitung".

© Thilo Rückeis

Schüler schreiben: Unbezahlbar ereignisreich

Unser Treffen in Manchester - eine Geschichte über den Wert des Geldes und die wichtigen Dinge im Leben. Ein Workshopbericht.

Amsterdam, Flughafen Schiphol. Hier beginnt sie zwar streng genommen nicht, meine Reise zum Workshop der Paralympics Zeitung in Birmingham. Immerhin liegt schon der kurze Flug aus Bremen hinter mir. Was ich hier zum ersten Mal spüre, ist vielmehr der Nervenkitzel, der sich durch das gesamte erlebnisreiche Wochenende ziehen wird.

"Don't worry, be happy"

Die Umsteigezeit in Schiphol beträgt mehr als 100 Minuten. Zeit genug, das Gepäck zu holen und das nächste Flugzeug zu besteigen, denke ich. Da weiß ich noch nicht, wie groß der Flughafen ist, diese Stadt in der Stadt, in der es an Schildern nur so wimmelt. Ich warte auf mein Gepäck. Entspannt fahre ich den Laptop hoch, lese mir noch ein paar Informationen durch. Doch mein Gepäck kommt nicht an Land. Leicht beunruhigt frage ich eine nette Servicedame, die mir etwas frei wiedergegeben „Don’t worry, be happy“ sagt und mir einen schönen Tag wünscht. Mein Gepäck ist schon längst auf dem Weg ins Flugzeug nach Birmingham. Hektisch schaue ich auf die Uhr und suche das Gate, an dem das Boarding in fünf Minuten beginnen soll. Pünktlich zu Beginn des Boardings finde ich mich an der Passkontrolle ein. Nur die meterlange Schlange macht noch Sorgen, aber recht schnell merke ich, dass die Dame am Schalter recht hatte: „Don’t worry!“

Mit den ersten Mitgliedern des Redaktionsteams treffe ich mich schon gleich am Flughafen. Internationalität pur: Ich treffe auf eine Schweizerin und auf ein Nordirin. Entspannt verfallen wir in Smalltalk und nehmen ein Taxi nach Hillscourt.

Jeder will den Job. Deswegen sind wir hier

Hillscourt, dieses idyllisch gelegene Hotel in Birminghams Peripherie: Hier lernen wir am Nachmittag in lockerer Atmosphäre bei Coffee ’n’ Tea die anderen Nachwuchsjournalisten kennen. Ein erster, kurzer Erfahrungsaustausch, dann geht es auch schon an die Arbeit. Die einzige Pause gibt es beim Dinner, ansonsten lauschen wir beeindruckenden Persönlichkeiten, die uns einen Vorgeschmack darauf geben, was uns bei den London Paralympics im August und September erwartet. Da ist David Smith vom London Evening Standard, der uns einen druckreifen und geschmeidigen Vortrag über das täglich harte Brot des Journalisten hält, mit dem als Frage formulierten krönenden Höhepunkt: „Who wants to have my job?“

Jeder. Deswegen sind wir hier. Und deswegen fahren wir auch am nächsten Tag mit dem Bus nach Manchester. Der BT Paralympics World Cup steht auf dem Programm, der erste Artikel soll am Sonntagmorgen stehen.

Und hier, in unmittelbarer Nähe zum City-of-Manchester-Stadium, der Heimat des aktuellen englischen Meister im Fußball, hier bewahrheitet sich, was Martin Mansell uns am Tag zuvor gesagt hat.

In einem berührenden Vortrag hatte der im Rollstuhl sitzende ehemalige Schwimmer von seinen Erfahrungen bei den Paralympics gesprochen. Er erzählte uns von der unwiderstehlichen Atmosphäre bei diesem Event, die einen jeden in ihren  Bann zieht. Es klang authentisch, aber irgendwie realisierte ich noch nicht, welch großartige Show uns geboten werden sollte.

Das erste Mal in meinem Leben führten mir die Wettkämpfe vor Augen, dass Sport nicht immer gleich Sport ist. Was die Sportler bei Olympia leisten, ist toll, was die Sportler bei den Paralympischen Spielen leisten, ist faszinierend, famos, schlicht unbeschreiblich. Jedes Adjektiv ist zu schwach, um diese Erfahrung zu beschreiben. Dieses Gefühl, Rollstuhlbasketballern zu begegnen in der Mixed Zone, jenem Bereich, in dem Sportler und Journalisten aufeinandertreffen. Männern, die den Sport als ihr Lebenselixier betrachten, die zu ehrlichen Gesprächen bereit sind. Außerdem haben wir gemerkt, dass man sich in der Mixed Zone auch ganz schön durchsetzen muss, um an seine Gesprächpartner heranzukommen..

Zurück im Hotel gab es erst einmal die wohlverdiente Dusche und ein ausgezeichnetes Dinner, bevor der wohl härteste Teil des gesamten Wochenendes bevorstand. Völlig ausgelaugt, galt es bis zur Deadline, dem fiktiven Redaktionsschluss am nächsten Morgen, die Rechercheergebnisse in einem Artikel zu verarbeiten. Wohl nur der ständige Nervenkitzel verhinderte die völlige Apathie, sodass wir am nächsten Morgen, nach erneut wenig Schlaf, die Ergebnisse diskutieren konnten.

Am frühen Nachmittag hieß es Abschied nehmen voneinander. Es hätte ein sehr trauriger Abschied werden können, schließlich sind in kürzester Zeit viele neuen Freundschaften entstanden. Was jedoch überwog, war die Vorfreude, auf die Paralympics. Völlig erschöpft, aber überglücklich traten wir die Heimreise an.

Nicht ohne einen letzten, diesmal ultimativen Nervenkitzel. Das Taxi stand abfahrbereit da, und ich suchte mein Portemonnaie inklusive Personalausweis. Sollte ich allein zurückbleiben müssen?

Die Suche war erfolgreich, der Super-Gau verhindert. Wir versanken in den Sitzen und bemühten die zwar oft gebrauchte, aber schöne Floskel: „Die besten Geschichten liefert immer noch das Leben.“ Die Geschichte dieses Wochenendes war eigentlich rund: Höchste Anspannung zu Beginn und am Schluss, schlummernde Anspannung zwischendurch.

Eine Kamera ist bezahlbar - all diese Erfahrungen sind es nicht

Es war wohl der Glaube, dass nicht mehr passieren konnte, der dann zum traurigen Höhepunkt des Workshops führte. Ich vergaß die Kamera im Taxi, nicht irgendeine Kamera, schon gar nicht meine Kamera, sondern die meines Bruders. Trotz großen Engagements der Tagesspiegel-Redakteure, die uns das ganze Wochenende über begleitet hatten, blieb sie unauffindbar.

Ärgerlich ist der finanzielle Verlust, schmerzhaft das Gefühl, zu wenig Verantwortung für eine geliehene Kamera gezeigt zu haben, das so schnell nicht verschwinden wird. Gewiss, ich war müde. Das ist auch meine einzige, womöglich halbwegs haltbare Erklärung. Aber eine Lehre kann ich daraus dennoch ziehen, eine weitere nach einem äußerst lehrreichen Workshop.

Und am Ende setzt sich die Erkenntnis durch: Eine Kamera ist bezahlbar, die Erfahrungen aus diesen drei Tagen sind es nicht.

Benjamin Scholz

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