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Sport: Schweigen in der Wagenburg

Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein steht unter Dopingverdacht. Er zeigt sich nicht und ist doch allgegenwärtig. Ein Besuch in Magdeburg.

Die Trainerzimmer der Magdeburger Leichtathleten liegen in einem heruntergekommenen Haus mit verblichen brauner Farbe, direkt neben dem Ernst-Grube-Stadion, Baujahr 1955. Die Treppenbrüstung ist eine Steinmauer, aus der Putz gefallen ist, im ersten Stock liegen mehrere Zimmer mit DDR-Charme. In einem dieser Zimmer verschwindet Christian Kopf. Der Trainer hat kein Wort geredet, seit er vom Parkplatz gekommen ist. Er hatte noch freundlich gegrüßt, aber dann fiel das Stichwort „Springstein“. Von dieser Sekunde an verstummte er. In einem anderen Zimmer im ersten Stock steht Ralf Wollbrück und sagt: „Zum Thema Springstein kann ich leider nichts sagen.“ Wollbrück ist Speerwurf-Trainer beim SC Magdeburg, er sagt immerhin noch: „Es gab keine Anzeichen für so einen Fall. Für uns kommt das alles überraschend.“ Aber eines ist ihm noch wichtig: „Der SC Magdeburg hatte mit der Sprintschule von Herrn Springstein ja nichts zu tun.“

Wer auf dem Gelände des Olympiastützpunkts Magdeburg über den Fall Springstein redet, legt Wert auf dieses Detail. Es geht ja auch ums Image. Bei dem Sprinttrainer Springstein, dessen Talente hier trainieren und die für den SC Magdeburg offiziell starten, wurden Arzneimittel gefunden, die den verbotenen Wirkstoff Testosteron-Undecanoat enthalten. Aber über so etwas will auf dem Gelände keiner wirklich reden. Günter Ott und Klaus Wipperfurth, langjährige Leichtathletik-Trainer in Magdeburg, winken ab. Ott sagt immerhin: „Zwischen Springstein und den anderen Trainern hier gab es eine ganz normale Konkurrenzsituation, mehr nicht.“

Es herrscht Wagenburg-Mentalität. Sie haben die Presse hier, die Polizei rückte mit mehreren Beamten an, um die Mitglieder von Springsteins Sprintschule zu vernehmen. Die Idylle beim SC Magdeburg ist empfindlich gestört. „Wir werden doch jetzt überall als Dopingtruppe bezeichnet“, zischt eine Sprinterin. Sie gehört zur Sprintschule, aber sie trainiert bei Carla Bodendorf. Die kümmerte sich bis jetzt nur um die talentierten Anfängerinnen. Springstein hatte in seiner Schule die 17- und 18-Jährigen betreut. Seit dem Arzneimittel-Fund in seiner Wohnung ist er seinen Job bei der Gesellschaft zur Förderung des Leistungssports los. Dort war der Trainer Springstein offiziell angestellt.

Aber einer redet doch, ein erfahrener Magdeburger Trainer, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte. Er redet über Springstein, und irgendwann sagt er: „Der kann nicht wirklich Mitleid erwarten.“ Vor allem aber sagt er: „Hier haben doch viele gewusst, mit welchen Mitteln der gearbeitet hat.“ Springstein habe sich sehr unkollegial verhalten in Magdeburg. Er sei arrogant aufgetreten, habe Kollegen nicht gegrüßt und Talente des SC Magdeburg rabiat in seine Sprintschule gelockt. „Der hat dann gesagt: Willst du gut werden oder nicht? Gut wirst du bei mir.“ Springstein habe nicht an den SC Magdeburg, sondern nur an seine Sprintschule gedacht. „Das war keine gute Stimmung hier.“

Thomas Springstein ist kein unbeschriebenes Blatt. Lange nach seiner Verstrickung in die Dopingaffäre um Katrin Krabbe hat er öffentlich bekannt: „Ich gehe bis an die Grenze des Erlaubten.“

Ein weiterer Punkt beeinflusst die inoffiziellen Diskussionen über den Fall: Neid und Missgunst. Die Mitglieder der Sprintschule traten in einheitlichen Trainingsanzügen auf, die Schule hatte einen großen Sportartikel-Hersteller als Sponsor. Außerdem bot Springstein Trainingslager an. „Die sind doch überall hingefahren und haben alles bekommen“, sagt der Magdeburger Trainer. Natürlich sei auch Neid im Spiel gewesen, das gibt er zu. Wie sollte es auch anders sein in einer Umgebung, in der die Laufhalle 23 Jahre alt und dringend renovierungsbedürftig ist. Der Rasen, um den sich die Magdeburger Laufbahn schlängelt, ähnelt mehr einem Acker als einer klassischen Wiese.

Aber am Rande der Tartanbahn sammelt sich der Frust. Da sitzen Mütter und Großmütter von kleinen oder jüngeren Leichtathleten und haben die Nase voll von den Kamerateams und Journalisten. „Wir haben doch mit dem Ganzen gar nichts zu tun“, sagt eine Mutter. Und eine andere fügt hinzu: „Natürlich bringen wir unsere Kinder weiterhin hierher. Der Verein hat doch mit der Angelegenheit nichts zu tun.“ Am anderen Ende des Stadions steht eine kleine Frau in einer roten Windjacke und beobachtet ein paar Sprinterinnen. Sie ist, wenn man so will, aufgestiegen. Glücklich machen dürfte sie diese Beförderung allerdings kaum. Carla Bodendorf trainiert vorerst auch Springsteins Sprinterinnen.

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