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Kein Boden unter den Füßen. Verena Sailer (Mitte) und ihre Konkurrentinnen scheinen der Ziellinie entgegenzufliegen. Foto: dapd

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Sport: Schwerelose Rückkehr

Die 100-Meter-Läuferin Verena Sailer war lange verletzt. In Helsinki will sie nun ihren EM-Titel verteidigen.

Verena Sailer rauschte durch die Mixed-Zone. Zwei, drei Fragen der wartenden Journalisten beantwortete die Sprinterin noch, danach verschwand sie in der Kabine und fuhr anschließend ins Teamhotel der deutschen Mannschaft, um sich auszuruhen. Sailer hatte keine Zeit zu verlieren, schließlich stand für sie wenige Stunden nach dem Vorlauf auch noch das Halbfinale der Leichtathletik-EM in Helsinki auf dem Programm (nach Redaktionsschluss).

In ihrem ersten Rennen hatte es die 27-Jährige zuvor ähnlich eilig gehabt wie in der Mixed-Zone. Locker und leicht stürmte die deutsche Meisterin im Olympiastadion von Helsinki zu einer Zeit von 11,14 Sekunden. Es war Sailers beste Leistung, seit sie vor zwei Jahren in Barcelona den Europameistertitel gewonnen hatte. „Es war ein gutes Gefühl, es hat Spaß gemacht, das ist immer die Hauptsache. Dann kommt alles von allein“, sagte sie über ihren Auftritt in Helsinki. Das Finale über 100 Meter findet am heutigen Donnerstag Abend statt. Sollte Sailer dann wie schon 2010 erneut ganz vorne landen, wäre sie die erste 100-Meter-Läuferin seit der DDR-Sprinterin Marlies Göhr in den Jahren 1982 und 1986, die ihren kontinentalen Titel erfolgreich verteidigen konnte.

Die Goldmedaille wäre zudem eine Genugtuung nach der verkorksten Saison 2011. Im vergangenen Jahr absolvierte Sailer nur drei Rennen, danach musste die Athletin von der MTG Mannheim wegen Achillessehnenproblemen lange aussetzen. Die Weltmeisterschaft in Daegu (Südkorea) fand ohne sie statt. Die Verletzung sei „nullkommanull im Kopf“, sagte Sailer in Helsinki. Anstatt zurück blickt sie lieber voraus, auf die Olympischen Spiele in London, wo sich zeigen wird, wie viel die Zeit von der EM im Vergleich mit den schnellen Amerikanerinnen und Jamaikanerinnen wert ist.

Im Kampf gegen die Stars aus der Karibik setzt Sailer auf Hightech. Im vergangenen Sommer tüftelte ihr Trainer Valerij Bauer ein neuartiges Trainingsgerät aus, die sogenannte Valerij-Schiene. Und die Sache scheint zu funktionieren, das deutete sich schon im Winter an, als Sailer eine neue Hallenbestzeit über 60 Meter aufstellen konnte. Die neue Wunderwaffe, für die ein striktes Fotoverbot gilt, ist auf den ersten Blick bloß ein Gurt, der mit einem motorbetriebenen Seilzug verbunden ist. Je nach Wahl zieht er die Sportler oder bremst sie ab. Das Prinzip ist bekannt, doch bislang wurden dazu Gewichtsschlitten oder gummizugartige Vorrichtungen verwendet. Die Valerij-Schiene lässt sich sehr viel genauer dosieren als die bisherigen Trainingsgeräte, zudem werden die Athleten von dem Gurt leicht angehoben, wodurch sich das eigene Körpergewicht um bis zu 20 Kilo verringert. Sailer und ihre Trainingskollegen laufen also nahezu schwerelos.

Mit der jungen Tatjana Pinto schaffte es gestern noch eine weitere deutsche Sprinterin ins EM-Halbfinale. „Schön war's“, kommentierte sie ihre 11,41 Sekunden aus dem Vorlauf. Die 19-Jährige von der LG Ratio Münster ist die Aufsteigerin des Jahres im deutschen Frauensprint. Ende Mai schaffte sie mit einem Lauf von 11,19 Sekunden sogar die Olympianorm für London, und das obwohl sie mitten in ihren Abiturklausuren steckte. Auch bei den Deutschen Meisterschaften vor zehn Tagen bot sie Verena Sailer lange Paroli, erst auf den letzten Metern musste sie sich der acht Jahre älteren Konkurrentin geschlagen geben. Die wiederum freut sich über die neuen Gegner im eigenen Land. „Ist doch gut für mich, wenn junge Talente nachrücken, schließlich belebt Konkurrenz das Geschäft, das ist ja bei euch Journalisten auch nicht anders“, sagte Sailer noch und grinste. Dann war sie verschwunden.

Philip Häfner[Helsinki]

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