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Quer gelegt – und doch nur Silber. Für Thomas Lurz war das Wasser nicht wild genug. Foto: dapd

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SCHWIMMEN: Thomas Lurz leidet und holt Silber

London - Die Wasseroberfläche war flach wie ein Brett. Es gab keine Wellen, man musste nicht ständig den Kopf hochnehmen, um sich zu orientieren, man konnte gleichmäßig durchschwimmen.

London - Die Wasseroberfläche war flach wie ein Brett. Es gab keine Wellen, man musste nicht ständig den Kopf hochnehmen, um sich zu orientieren, man konnte gleichmäßig durchschwimmen. Es waren gute und deshalb ziemlich schlechte Bedingungen für Thomas Lurz. Der 32-Jährige kennt sich aus mit diesen Kämpfen gegen hohe Wellen, er weiß, wie man in der rauen See die Kräfte einteilt. „Wir Freiwasserschwimmer hätten bei Wellen schon einen Vorteil gehabt“, sagte er, während ein paar Enten quakend über den idyllisch daliegenden Serpentine Lake im Londoner Hyde Park flogen. Es gab aber keine Wellen, und deshalb hat der zehnmalige Freiwasser-Weltmeister Lurz nur die Silbermedaille über zehn Kilometer gewonnen. Gold holte der Beckenspezialist Oussama Mellouli aus Tunesien, der in London bereits Bronze über 1500 Meter Freistil gewonnen hat. Über diese Strecke wurde er 2008 Olympiasieger und 2009 Weltmeister. Und vor diesen Erfolgen war er 18 Monate lang als Dopingsünder gesperrt.

Mellouli lag zwischenzeitlich 25 Meter vor seinen Verfolgern. Lurz wusste, dass der Tunesier bei diesen Bedingungen den Spezialisten überlegen ist. Spätestens 1200 Meter vor dem Ziel hatte er den Gedanken so verinnerlicht, dass er ihm Silber sicherte. 1200 Meter vor dem Ziel – der Abstand zu Mellouli war erheblich geschrumpft – beschloss Lurz, dass er dem Tunesier keinen Zweikampf um Gold liefern würde. „Ich habe ihm nicht nachgesetzt, weil das zu viel Kraft gekostet hätte. Dann hätten mich die anderen überholt.“

Die 25 Meter Vorsprung von Mellouli hatten ihn nie irritiert. Mitten im Rennen hatte Lurz noch die Hoffnung, „dass Mellouli zu früh anzieht, dann müde wird und ich noch an ihm vorbeiziehen kann“. Er hatte zu diesem Zeitpunkt mit Gold gerechnet. Darauf war er fixiert, ein anderes Ziel hatte er nicht. Seit Oktober schwamm Lurz 3500 Kilometer, aber jetzt stand er am Ufer des Sees und sagte: „Ich bin mit Silber durchaus glücklich.“ Dann fielen die Wörter „Doping“ und „Mellouli“, und Lurz stockte eine Sekunde lang. Wie ist das Gefühl, wenn einem einer Gold wegschnappt, der mal wegen Dopings gesperrt war? Lurz gab erst mal keine klare Antwort. „Mellouli ist einer der vielseitigsten Schwimmer, die es gibt, er war klar der Stärkste im Feld.“ Kurz darauf brummte er: „Nein, irritiert hat mich das nicht.“

Ihn irritierte eher der Gedanke, dass es nicht zu Gold gereicht hatte. Thomas Lurz gab sich ziemlich abgeklärt. Aber wenn man Stefan Lurz, seinem Bruder und Trainer zuhörte, konnte man ahnen, wie sehr Thomas Lurz später, wenn er in Ruhe alles noch mal durchdenkt, unter Silber leiden wird. „Alles war auf diesen 10. August ausgerichtet“, sagte Stefan Lurz. „Jeder Schnupfen wurde in Beziehung zu diesem Rennen gesetzt.“ Zehn WM-Titel hat Lurz gewonnen. „Ich will diese Titel nicht kleinreden“, sagte sein Bruder. „Aber mit Olympia kann man das nicht vergleichen. Alles war auf dieses Rennen fixiert. Das ist nicht bloß für den Körper, sondern auch für die Psyche eine Riesenbelastung.“Frank Bachner

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