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Schwimmen: Volltreffer auf den Lebensnerv

Durch den Rückzug von Hauptsponsor Adidas gerät der Deutsche Schwimmverband in eine tiefe Krise.

Diese Provokation war einfach zu heftig. Helge Meeuw sprang mit Badehose ins Wasser – wie ein Freizeitschwimmer, ausgerechnet bei der Kurzbahn-Europameisterschaft in Rijeka. Die Badehose trug zwar das Adidas-Logo, immerhin, aber die Botschaft des Rückenspezialisten war klar: Die Schwimmanzüge der Drei-Streifen-Firma seien international nicht konkurrenzfähig. Weltrekordhalter Paul Biedermann verkündete das Gleiche sinngemäß am Beckenrand. Ausgerechnet Meeuw, der auch noch einen Einzelvertrag mit Adidas besitzt. Und ausgerechnet Biedermann, der monatelang erzählt hatte, dass ihn das Adidas-Modell nicht störe.

Die Antwort von Adidas kam am Montag. Und sie kam heftig: Der Ausrüster des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) kündigte seinen Vertrag fristlos, zwölf Monate vor dem regulären Ende. Am Dienstag war DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff immer noch konsterniert: „Der Verlust des Sponsors trifft den Nerv des Verbandes. Die ganze Organisation des Leistungssports ist jetzt gefährdet.“ Mit einer Million Euro pro Jahr sponsert die Firma den Verband, ein Großteil der Kosten für die DSV-Geschäftsstelle wird mit Adidas-Sponsorengeld finanziert. Eine Million, das ist rund ein Drittel des gesamten DSV-Jahresetats. Dass die Trainingslehrgänge der Nationalmannschaft vom Bundesinnenministerium finanziert werden, ist da ein geringer Trost. Wenn die Organisation der Lehrgänge wegbricht, dann nützen auch die Trainingslager wenig.

Adidas ist die dauernde Kritik an seinen Schwimmanzügen leid. Seit Monaten jammern und schimpfen die deutschen Sportler über das Material und sehnen sich vor allem nach dem Konkurrenzmodell LRZ Racer von Speedo. Ob dieser Anzug wirklich schneller ist, weiß niemand. Wissenschaftlich bewiesen ist es nicht. Entscheidend für die deutschen Schwimmer ist die Statistik: Mit Speedo am Körper schwammen internationale Topstars 2008 Dutzende von Weltrekorden. Der DSV dagegen musste zum Beispiel in Rijeka die schlechteste Kurzbahn-EM-Bilanz seit 1996 verkraften.

Mag sein, dass die fristlose Kündigung von Adidas juristisch nicht zu halten ist. Schließlich trug Meeuw das Material des Verbandsausrüsters. Aber der Hauptstreitpunkt ist das unklare Regelwerk des Weltverbandes Fina. Der hat bis heute nicht konkret festgelegt, was bei den Anzügen erlaubt ist und was nicht. Die Fina zögerte erst, den LZR Racer zu genehmigen, gab dann aber doch grünes Licht. Der Streit ist inzwischen derart eskaliert, dass die Fina im Februar 2009 eine Lösung für die Materialfrage finden will.

„Das muss dringend geklärt werden“, sagt Stefan Lurz, Trainer der Vizeweltmeisterin Annika Lurz. „Den Streit um den Anzug gibt es ja seit zweieinhalb Jahren.“ Aber nie war er so heftig wie im Frühjahr 2008, nachdem die Weltrekordflut mit dem LZR Racer begonnen hatte. Adidas modifizierte deshalb vor den Olympischen Spielen hektisch seine Schwimmanzüge. Bei einem Wettkampf in Monaco wurde das neue Material getestet, die deutschen Schwimmer erklärten den Anzug für konkurrenzfähig, doch bei den Olympischen Spielen überzeugte nur Britta Steffen mit zwei Goldmedaillen. Die 25-Jährige besitzt einen Einzelvertrag mit Adidas.

Doch von einem echten Test in Monaco konnte keine Rede sein, sagt Stefan Lurz. Seine Frau Annika trug dort zwar auch den verbesserten Adidas-Schwimmanzug, allerdings nur im zehn Meter langen Hotelpool. Dort hätten auch die meisten anderen deutschen Schwimmer das neue Material geprüft. „Im Wettkampf haben ihn nur sehr wenige Athleten getestet. Ich habe nicht verstanden, wie man sagen konnte, der Anzug sei okay.“

Eine klare Linie haben die Sportler sowieso nicht bei dem Thema. „Vor der Kurzbahn-EM haben sich noch alle Athleten bereit erklärt, in Adidas zu starten“, sagt DSV-Generalsekretär Fornoff. Auch Lurz wundert sich. „Ich verstehe nicht, dass Biedermann jetzt plötzlich den Anzug kritisiert.“ Möglicherweise, weil er beim Kurzbahn-Weltcup in Berlin seinen Weltrekord über 200 Meter Freistil im Anzug seines persönlichen Ausrüsters erreicht hatte – Arena. Beim Weltcup musste er nicht Adidas tragen. Biedermann war gestern nicht zu erreichen.

Helge Meeuw immerhin kann beruhigt Weihnachten feiern, trotz allem. „Der Einzelvertrag mit ihm“, sagt Adidas-Sprecher Oliver Brüggen, „wird nicht aufgelöst.“

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