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Zeig her deine Beine. Danilo Hondo (l.) lässt sich von seinem Physiotherapeuten Matthias Will im Bretterverschlag betreuen. Foto: Imago

© Adriano Coco

Sport: Sechs Tage in der Hundehütte

Masseur, Psychologe, Mädchen für alles: Matthias Will betreut die Fahrer während der Berliner Sixdays

Berlin - Das Fahrerfeld kommt aus der Kurve geschossen und surrt vorbei. Ketten rasseln, Beine kurbeln, Münder hecheln. Der Mann im blauen T-Shirt steht stoisch da, die Arme vor der Brust verschränkt. Matthias Will, den alle nur Willi nennen, kann während der Großen Jagd kurz verschnaufen. Der 40 Jahre alte Physiotherapeut betreut beim Berliner Sechstagerennen die Deutschen Danilo Hondo, Henning Bommel und Andreas Müller. Die Fahrer buchen und bezahlen ihn. Will ist Masseur und Betreuer gleichzeitig, pflegt Körper wie Rennbekleidung. Sein Trio teilt sich einen der weiß lackierten Holzverschläge, die sich an den Rand des Innenraums zwängen – äußerlich eine Mischung aus Strandkorb und Hundehütte. „In Berlin ist der Platz noch recht großzügig“, sagt Will. In Bremen seien die Fahrer unter die Bühne gepfercht. „Man muss das eben lieben.“

Will ist zum zehnten Mal in Berlin dabei. Früher war er für die deutschen Teams Agro-Adler, Gerolsteiner und Milram tätig. Nun ist er nur noch 50 Tage im Jahr unterwegs, sonst arbeitet er in der Praxis seiner Schwägerin in Cottbus, „wegen der Familie“. 15 Minuten noch läuft die Große Jagd. Einer der Masseure blättert in einer Zeitung, der Sprinter Robert Förstemann schlendert vorbei, Beine wie Baumstämme. Will füllt ein rosafarbenes Getränk in drei Babyflaschen aus Plastik. „Nur Elektrolyte“, erklärt Will, der natürlich auch weiß, dass einige seiner Kollegen im Straßenradsport auch schon mal andere Sachen genommen haben. Auf die Lehnen der drei niedrigen Holzstühle hat er saubere Handtücher gehängt, auf den Sitzflächen stehen Schälchen mit etwas Wasser und einem Schwamm. In dem Holzverschlag liegt eine dünne Matratze, auf dem schmalen Wandbord lagern persönliche Gegenstände und Wills Arbeitsmaterial. „Diverse Salben und Cremes“, sagt er, „vor allem für den Hintern.“ Energieriegel stapeln sich, daneben steht eine Dose mit Halsbonbons, in der Ecke eine große Thermoskanne. „Heißer Tee“, sagt Will. Wegen der trockenen Hallenluft.

Dann ist die Jagd schon zu Ende, die Fahrer rollen auf den Teppich. Ein beherzter Griff von Will – und Danilo Hondo kommt zum Stehen. Routine. Will rubbelt seinen Fahrern mit der Hand im Waschlappen den Oberkörper ab und hängt die verschwitzten Trikots über einen kleinen Heizlüfter. „Ich bin noch altmodisch, manche benutzen richtige Wäschetrockner“, sagt Will. Hondo hat sich für die kurze Pause in ein Wärmehemd zwängen lassen und isst nun einen Joghurt. Der 37-Jährige kennt Will aus gemeinsamen Tagen bei Gerolsteiner. „Im Laufe der Jahre ist eine Freundschaft entstanden“, sagt Hondo. „Betreuer sind ja auch Psychologen.“ Nach einem schlechten Rennen flunkere der Seelenmasseur schon mal, um ihn aufzubauen, sagt Hondo.

Nicht nur die Beine werden bei der Raserei im Kreis belastet. Der ruckartige Fahrerwechsel zerrt an Schulter und Oberarm. „Man kommt unten mit fast sechzig an, die oben lassen sich richtig in deinen Arm sacken“, sagt Hondo. „Ich als Straßenprofi bin daran nicht gewöhnt.“ Dazu gibt es auch am Familientag Dauerbeschallung. Gerade bespaßen „Ulf und Zwulf“ das Publikum. „Klar könnte es leiser sein, aber das gehört doch dazu“, sagt Hondo. Will massiert ihm auf der Matratze sitzend noch schnell die Beine. „Am vierten Tag hat man schon einige Verhärtungen“, sagt Will, während er die muskelbepackten Waden „ein bisschen aufschüttelt“. Dann geht es schon wieder aufs Rad.

Beim anschließenden Ausscheidungsfahren braust Hondo als Erster über die Ziellinie. Will schnappt sich eine Schirmmütze und ein Handtuch und joggt die halbe Runde hinüber bis zur Ziellinie. Hondo gibt ihm Helm und Brille und zieht sich die Kappe über die verschwitzten Haare. Will macht sich auf den Weg zurück, Müller und Bommel kauern schon in der engen Koje.

Sechs Tage lang richtet sich Matthias Wills Tagesablauf nach dem seiner Fahrer. Selbst nachts verlässt er das Velodrom nicht, sein Behelfsbett steht in den Katakomben. Man muss das lieben. Nur am freien Sonntagabend bleibt etwas Zeit für ein privates Zusammensein. „Wir gehen zusammen zum Italiener“, sagt Will und fühlt prüfend bei den Trikots nach. Schon trocken.

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