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Rad an Rad. Auch das Berliner Sechstagerennen findet auf einer Bahn aus dem Hause Schürmann statt. Foto: Paul Zinken/dpa

© dpa

Sechstagerennen in Berlin: Die Architekten der Velodrome

Die Schürmanns bauen in der dritten Generation Velodrome für den Radsport - auch in Berlin. Die neue Bahn könnte neue Topzeiten hervorbringen.

Jedes Mal, wenn Ralph Schürmann Bobrennen im Fernsehen schaut, schüttelt es ihn. „Warum ist der Kurvenausgang so schlimm?“, fragt er sich. In seiner Welt geht es um sanfte Übergänge, möglichst wenige Fugen und Kurven, die die Fahrer sicher, aber schwungvoll auf die Gerade katapultieren. Redet er über seine Rennbahnen, hört es sich an, als würde er ein Kunstwerk oder ein Naturerlebnis beschreiben. Da spricht er von perfekter Ausgewogenheit, dem vollkommenen Gesamtbild, das in seinen sanften Schwingungen dem Auge schmeichelt, weil alle Einzelteile stimmen, ähnlich einem Baum.

Diese Philosophie gilt auch für die Bahnen, die er in aller Welt baut, von Neuseeland bis Trinidad und Tobago. Deswegen schwärmt auch die neunfache Bahnrad-Weltmeisterin Kristina Vogel von den Schürmann-Bahnen: „Meine Lieblingsbahn steht in Cali“, sagte sie vor der EM in Berlin im November. „Die Kurve dort ist richtig schnell.“ Aber auch mit dem brandneuen Belag im Berliner Velodrom war sie zufrieden. Obwohl er ihr noch etwas weich erschien. Ob er beim Sechstagerennen schon eingefahren ist und die Athleten noch schneller über das 250-Meter-Oval bringt, werden die Zeiten im Laufe der Veranstaltung zeigen.

Der Mann hinter den Bahnen in Berlin und Cali residiert in Münster, wenn er nicht gerade an der Landsberger Allee oder in Kolumbien Velodrome baut. Schon sein Großvater Clemens Schürmann war Radrennfahrer und finanzierte sein Architekturstudium mit den Preisgeldern. Selbst eine Schussverletzung ins Knie aus dem ersten Weltkrieg hielt den ehemaligen WM-Teilnehmer nicht davon ab, aufs Rad zu steigen – er rechtfertigte es als Rehabilitation.

Foto: promo
Der Bahnenbauer. Ralph Schürmann bei der Arbeit im Velodrom.

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Dann sattelte er nach dem Höhepunkt der aktiven Karriere auf die Radbahnarchitektur um. Von ihm kommt die revolutionäre Idee, die Bahn entgegen aller physikalischen Logik nicht symmetrisch, also rund zu bauen. Stattdessen baute er die Kurven enger, testete selbst unzählige Male die Katapultkraft seiner Bahnen, die er zunächst in Münster, dann in ganz Deutschland und später auch im Ausland baute. Sohn Herbert führte das Geschäft ab den Fünfzigerjahren weiter und wurde später Direktor des Münsteraner Sechstagerennens. Er setzte sich dafür ein, die damals bis zu 400 Meter langen Bahnen auf 250 Meter zu kürzen, weil es besser für die Athleten, spannender für die Zuschauer und außerdem billiger sei. Trotzdem bauten die Schürmanns eine Bahn in Schöneberg aus Afzela-Holz – etwa zehn Mal so teuer wie die herkömmliche sibirische Fichte im Velodrom und zudem umstritten, weil nur in den Tropen vorkommend. Fichte aus Sibirien ist das Holz der Wahl, weil sie einerseits ein Weichholz ist, andererseits durch die Kälte langsamer wächst und dadurch dichter und härter ist als herkömmliche Fichte – perfekter Halt und ideale Härte für die Bahnradfahrer, die auf möglichst wenige Widerstand bei gutem Halt aus sind.

Ralph Schürmann reist mehrmals im Jahr um die Welt

In der dritten Generation entwirft und plant Schürmann schon Velodrome, „fast unvermeidlich“ sei seine Berufswahl gewesen – ein Wissensschatz, der nicht in Worte zu fassen ist. „Ich habe mal darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben“, sagt der 64-Jährige. „Aber da ist so viel, das man nur durch Baustellenbesichtigungen, durch all die Gespräche mit Verbänden, Athleten und Trainern und durch das eigene Gefühl erfährt – das kann man nicht in Worte fassen.“ Ebenso wie seine Vorfahren stets ihre Meinung und Erfahrung einbrachten, nimmt der Architekt kein Blatt vor den Mund. Die Bahn im Berliner Velodrom etwa musste nach 21 Jahren neu verlegt werden, weil die wiederholten Übermalungen von Werbebannern das Holz uneben machten und die 40 Millimeter dünnen Planken nur drei Abschliffe aushalten. „Das ist doch kein Haufen Holz, sondern eine Hochleistungssportstätte – die so abzunutzen ist doch unsinnig“, sagt Schürmann.

Für den Hochleistungssport reist er mehrmals im Jahr um die Welt und wechselt phasenweise von der Architektur zur Logistik. Gerade hat er einen Auftrag in Indonesiens Hauptstadt Jakarta geplant: Nach den Vorbesprechungen zum Design der Bahn wird sie in Auftragswerkstätten angefertigt, dann in Container verpackt und vier Wochen zum Zielort gefahren. Dabei hängt einiges daran, ob die ungewöhnliche Fracht durch den Zoll kommt. Vor Ort müssen 20 Mitarbeiter zu unterschiedlichen Phasen untergebracht werden, der Chef managt die Belegungspläne ebenso wie die Baustelle. Acht bis neun Wochen dauert es, eine Bahn vor Ort aufzubauen – wenn alles glatt läuft. „In Brasilien hatten wir einen Streik und eine Baustellenbesetzung und wurden dann als Streikbrecher mit Eisenstangen bedroht“, erzählt Schürmann. Solche Erfahrungen möchte er trotzdem nicht missen. „Es ist gut, zu sehen, dass nicht immer alles so läuft wie in Deutschland.“

Obwohl er schon beruflich mit dem Sport zu tun hat, wird Schümann in seiner Freizeit nicht müde, zu Weltcups und Weltmeisterschaften zu fahren, sich Feedback von Athleten zu holen und seine Werke in Benutzung zu sehen. „Der Prozess geht vom ersten Gedanken bis zum Athleten, der über die Ziellinie jagt“ sagt er. „Das ist ein schönes und befriedigendes Gefühl.“

Am Ende entscheidet der Athlet, wie gut die Bahn ist. Vergessen soll er sie, wenn er sich in die Kurve legt, gar nicht darüber nachdenken, ob Winkel und Belag stimmen. Wenn sein Werk dezent im Hintergrund steht und den jagenden Pulk oder die Zweierverfolger zur Geltung bringt, wenn vor dem Hintergrund seines Lebenswerks Rekorde fallen und Massen jubeln – dann hat Ralph Schürmann seine Arbeit gut gemacht.

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