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Sport: Sein eigener Herr

Joachim Löw war unter Jürgen Klinsmann mehr als ein Assistent, jetzt hat er die ganze Verantwortung

Berlin - Der Prozess der Emanzipation von Jürgen Klinsmann hat bei Joachim Löw schon während der Weltmeisterschaft eingesetzt. Es war bei einem Interview in Berlin, Löw sprach vor dem Viertelfinale gegen Argentinien über die Chancen der deutschen Mannschaft: „Wichtig ist, dass man in keinster Weise …“ Löw stockte, riss die Augen auf, als hätte er eine bedeutende Entdeckung gemacht, dann fuhr er fort: „… in keiner Weise. Das sagt man ja nicht.“

Jürgen Klinsmann sagt immer „in keinster Weise“, und so wie mit Herr und Hund hat es sich auch mit dem Schwaben Klinsmann und dem Badener Löw verhalten. In den beiden Jahren ihrer Zusammenarbeit bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sind sie sich immer ähnlicher geworden, bis in die Sprache hinein. Löw hat Sätze gesagt, die Klinsmann nicht schöner hätte erfinden können, er hat die so genannte klinsmannsche Dopplung (sehr, sehr …; ganz, ganz …; viel, viel …) zu einer eigenen Meisterschaft gebracht, und am Ende wusste man dann nicht mehr: Spricht Löw die Sätze, die Klinsmann erdacht hat? Oder ist es umgekehrt?

So ähnlich hat es sich auch bei der Arbeit mit der Nationalmannschaft verhalten: War Klinsmann als Bundestrainer nur derjenige, der die Arbeit des Assistenten Löw blendend verkauft hat? Oder hat der Praktiker Löw die Philosophie des Jürgen K. in die tägliche Arbeit heruntergebrochen? „Ihr wart sehr kongenial“, hat Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), gestern bei Klinsmanns Abschied gesagt. Nominell war Klinsmann der Herr und Löw der Hund, aber „er war für mich nie ein Assistenztrainer“, hat Klinsmann bekannt. „Er war ein fester Partner. Die eigentliche Arbeit hat er ohnehin schon verrichtet.“

Löw hat die Trainingspläne erstellt, er war für sämtliche taktische Aspekte zuständig, zu großen Teilen für die Sichtung der eigenen Spieler wie auch – mit seinem früheren Lehrherrn Urs Siegenthaler – für die Beobachtung der Gegner. Klinsmann hat sich stets als eine Art Supervisor gesehen, der die Arbeit aller Spezialisten koordiniert und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet hat. „Er hat allen Leuten das Gefühl gegeben, dass sie wichtig sind, dass sie auch Verantwortung übernehmen“, sagt Löw über Klinsmann.

Mit der Beförderung Löws zum Bundestrainer hat der DFB eine bewährte Tradition fortgeführt. Auch Sepp Herberger, Helmut Schön, Jupp Derwall und Berti Vogts haben als Zuarbeiter ihres jeweiligen Vorgängers angefangen. Löw, den alle nur Jogi nennen, geboren vor 46 Jahren in Schönau im Schwarzwald, ist jedoch nie als typischer Assistent mit eingeschränkten Kompetenzen wahrgenommen worden, als Hütchenaufsteller oder Fehlerflüsterer wie seine Vorgänger Ulli Stielike und Michael Skibbe. Löw galt stets als Ressortleiter Training/Taktik mit voller Handlungsgewalt. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Klinsmann ergab sich aus einer grundsätzlichen Übereinstimmung in allen fachlichen Fragen. „Wir fällen alle Entscheidungen gemeinsam“, hat Löw während der Weltmeisterschaft gesagt. „Wir denken fast immer deckungsgleich.“

Der neue Bundestrainer steht dafür, dass Klinsmanns Projekt im Sinne seines Erfinders und mit dessen Methoden fortgesetzt wird. Klinsmann selbst hatte Mayer-Vorfelder den Vorschlag unterbreitet: „Nimm den Jogi!“ Torhüter Jens Lehmann nannte die Berufung Löws „eine logische Entscheidung. Es ist ein klares Zeichen an die Mannschaft, dass der Stil beibehalten wird“. Und auch Teammanager Oliver Bierhoff berichtete, dass „von allen Spielern ein absolut positives Feedback gekommen“ sei.

Löw will weiterhin mit einem Team von Spezialisten zusammenarbeiten, um die Individualisierung im Training voranzutreiben. Das Prinzip hat sich nach Meinung aller Beteiligten bewährt. „Es ist schade, dass einer von diesem Team abspringt“, sagte Bierhoff. Löw nannte es eine seiner ersten Aufgaben, einen neuen Assistenten zu finden. „Ich habe mich nachher mit Jürgen zum Mittagessen verabredet und werde mal versuchen, mit ihm ein Gespräch darüber zu führen.“

Die Frage wird sein, ob Löw die Rolle als Bundestrainer genau so interpretieren wird und kann, wie Klinsmann es getan hat. Durch seine Erfolge als Spieler hat Klinsmann in der Öffentlichkeit eine ganz andere Wertschätzung genossen. „Er hat schon auch eine hohe Akzeptanz, weil er einige Weltmeisterschaften gespielt hat, vor allem bei den jungen Spielern“, hat Löw während der WM gesagt. Seine eigenen Erfolge nehmen sich im Vergleich dazu eher dürftig aus: ein Jugend- und vier U-21-Länderspiele hat Löw bestritten, dazu ganze 52 Bundesligaspiele für den VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt und den Karlsruher SC. Die meiste Zeit seiner Karriere hat Löw beim SC Freiburg in der Zweiten Liga verbracht.

Trotzdem gibt es keine Zweifel an seiner Kompetenz. Der Legende nach ist Klinsmann auf Löw aufmerksam geworden, als beide im Jahr 2000 den Trainerlehrgang absolvierten. Klinsmann soll damals schwer beeindruckt davon gewesen sein, wie Löw in wenigen Worten das Funktionieren einer Viererkette erklärte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Löw bereits die ersten Erfolge als Trainer verbucht. Mit Stuttgart war er 1997 Pokalsieger, 1998 stand er im Europapokalfinale und wurde anschließend trotzdem entlassen – vom damaligen VfB-Präsidenten Mayer-Vorfelder, der jetzt, in neuer Funktion, seine Berufung zum Bundestrainer mitgetragen hat.

Löw galt schon zu seiner Zeit in Stuttgart als ein Verfechter des schönen und offensiven Fußballs. Das so genannte magische Dreieck aus Krassimir Balakow, Fredi Bobic und Giovane Elber begeisterte das Publikum, und Löw erwies sich als perfekter Moderator der eigenwilligen Stars. Allerdings wurde ihm auch unterstellt, manchmal zu gutmütig zu sein für das harte Profigeschäft. Davon ist längst keine Rede mehr. Als Rudi Völler noch Bundestrainer war, murrten die Journalisten, wenn der seinen Assistenten Skibbe zu Pressekonferenzen schickte. Löw hingegen wird als Sachverständiger geschätzt, der es versteht, komplizierte Sachverhalte in einfache Worte fassen. Vor dem Spiel gegen Argentinien sagte er: „Wir müssen ihnen auf die Nerven gehen wie ein Bienenschwarm.“ „Der Spiegel“ druckte sogar ein dreiseitiges Interview mit Löw.

Der neue Trainer der deutschen Nationalmannschaft, der zehnte seit 1923, schätzt den hintergründigen und subtilen Witz. Bei der gestrigen Pressekonferenz wurde er nach seiner eigenen Erschöpfung gefragt, nachdem Klinsmann geklagt hatte, er sei ausgebrannt. „Beim Jürgen kommt’s ja vom Fliegen“, antwortete Löw. Bei ihm besteht in dieser Hinsicht wenig Gefahr. Joachim Löw berichtete, dass sein Vertrag zwar freie Wohnsitzwahl garantiere. Er hat aber zum Glück nicht vor, aus Freiburg wegzuziehen.

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