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SEITEN Wechsel: Die Geschichte eines Scheiterns

„Spieltage“: Das etwas andere Bundesliga-Buch.

Was für eine geniale Idee, die Geschichte von 50 Jahren Bundesliga einmal nicht an den üblichen Wegmarken entlang zu erzählen; ohne Pfostenbruch, Lienens Oberschenkel und Schalkes Meisterschaft der Herzen. Das passiert in diesen Wochen, da das Jubiläum mit großem Brimborium gefeiert wird, ja eher selten. Ronald Reng, der mit dem „Traumhüter“ und der Biografie über Robert Enke bereits zwei hoch gelobte Fußballbücher veröffentlich hat, hat sich gefragt: „Erfährt man nicht viel mehr über die Bundesliga, wenn man die Geschichte eines einzigen Mannes erzählt, als wenn man noch einmal all die Typen, Tore und Tabellen aufreiht?“ Im Prinzip ja. Das Problem ist nur: Der Mann, durch den Reng in seinem neuen Buch „Spieltage“ 50 Jahre Bundesliga erzählen will, heißt Heinz Höher. Wer heute jünger als 35 ist, kann mit diesem Namen nichts anfangen.

Ein einziges Mal in 50 Jahren hat Höher Bundesligageschichte geschrieben. 1984, als beim 1. FC Nürnberg eine Gruppe älterer Spieler gegen ihren Trainer zu putschen versuchte. Doch anders als sonst in diesen Fällen wurde nicht der Trainer entlassen, sondern die meuternden Spieler. Höher setzte auf Nachwuchsspieler und erreichte am Ende der folgenden Saison einen Europapokalplatz. Es ist Höhers größter Erfolg als Trainer. Abgesehen davon hat er wenig Spuren in der Bundesliga hinterlassen. Dabei war Höher in den Anfangsjahren der Spielklasse durchaus bekannt: zunächst als begabter und eleganter Außenstürmer in Duisburg und Bochum, später als Trainer, der innovativ war sowohl in seinen Trainingsmethoden als auch in seiner Spielweise. Bis Ende der Achtziger zählte Heinz Höher zum Inventar des bundesdeutschen Fußballs, seitdem aber ist er über die Rolle des interessierten Beobachters nicht mehr hinausgekommen. 1988 saß er zum letzten Mal in Deutschland auf einer Trainerbank. Man wird daher den Eindruck nicht los, dass Reng (oder sein Verlag) auf der Jubiläumswelle mitsurfen wollte. Weil Höher als Fußballrentner seine Energie in die Ausbildung eines zwölf Jahre alten Jugendspieler namens Juri Judt gesteckt hat, der es später tatsächlich zum Profi bringt, sei Höher „durch Juri Judt auch im 50. Jahr am Ball“, schreibt Reng. Streng genommen spielte Judt im 50. Jahr der Bundesliga bei RB Leipzig in der Regionalliga.

Eigentlich ist Höhers Leben auch ohne die Verknüpfung mit dem Bundesligajubiläum erzählenswert genug: Es ist die Geschichte eines ebenso blitzgescheiten wie seltsamen Menschen. Und die Geschichte seines grandiosen Scheiterns. Heinz Höher hat seine Begabung an den Alkohol verloren, sein Vermögen beim Zocken durchgebracht und Jahre seines Lebens „im inneren Nebel“ verbracht. Reng beschreibt Höhers aussichtslosen Kampf gegen den Verfall durchaus mit Sympathie und doch angemessen schonungslos. So schonungslos, wie Höher selbst mit seinen Mitmenschen umgegangen ist. Kurz vor der WM 1978 schreibt er Bundestrainer Helmut Schön einen Brief, der mit den Worten beginnt: „Sehr geehrter Herr Schön, Ihren verstorbenen Vorgänger Sepp Herberger habe ich verehrt. Für Sie als Trainer-Typ habe ich eigentlich nie geschwärmt.“

Heinz Höher, dieser Kauz, der weitgehend unfähig war, die einfachsten Regeln für ein gedeihliches Zusammenleben zu befolgen, hat Briefe geschrieben und Aufzeichnungen hinterlassen. Die Fülle an schriftlichen Quellen erweist sich als unschätzbarer Glücksfall. Dazu versteht es Reng, Höhers Geschichte geschickt in das große Ganze einzuordnen – oder das große Ganze in Höhers Geschichte.

Höher wird in wenigen Tagen 75. Er hat sein Vermögen verloren, den Beruf, eines seiner drei Kinder (bei einem Autounfall). Und doch wollte er, dass Reng seine Geschichte aufschreibt. Bei der Lektüre des Buches, so sagt er, habe er „schon ziemlich die Achtung vor mir verloren“. Vielleicht war das das Beste, was Heinz Höher passieren konnte. Stefan Hermanns

Ronald Reng: Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga. Piper. 480 Seiten, 19,99 Euro.

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