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Der Frühling treibt alle raus. Auch die Selbstoptimierer unter den Freizeitsportlern, die allen zeigen wollen, wie toll sie sind.

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Selbstinszenierung beim Sport: Hört mit dem Gepose auf!

Der Freizeitsport wird immer mehr Bühne für Selbstdarsteller. Unterstützt vom Internet, ausgenutzt von der Industrie. Oft wirkt das nur lächerlich. Ein Essay.

Von Johannes Nedo

Es ist ein Hochgefühl. Wenn man seinen Laufrhythmus gefunden hat. Wenn sich jeder Schritt anfühlt, als schwebe man. Und dann die Endorphine ausgeschüttet werden. „Runner’s High“ nennen Läufer diesen paradiesischen Gemütszustand. Nicht nur Profis können ihn erreichen.

Deshalb treibt es nun auch wieder die Freizeitsportler heraus. Jetzt, da der Frühling richtig beginnt und die ersten sonnigen Tage ihren Teil zum Hochgefühl beitragen. Am vergangenen Sonntag fand der inoffizielle Auftakt der Schönwetter-Laufsaison statt: der Berliner Halbmarathon, mit mehr als 30 000 Teilnehmern.

Doch das sportliche Hochgefühl hat mittlerweile große Konkurrenz bekommen. Denn vielen Freizeitsportlern reicht die eigene Bewegung längst nicht mehr aus. Immer mehr wollen auch alle anderen an ihren Leistungen teilhaben lassen. Das nimmt oft lächerliche Züge an.

Freizeitsportler werden immer selbstdarstellerischer. Viele von ihnen mutieren zu Narzissten in Turnhosen. Es geht nicht mehr nur darum, sich selbst etwas zu beweisen. Jetzt zählt auch: So viele Menschen wie möglich müssen sehen, was man sportlich vollbracht hat.

Diese Athleten wollen unbedingt beeindrucken. Und dafür bekommen sie zunehmende Möglichkeiten. Wer bisher unauffällig in Weiß, Grau oder Blau joggte, kann sich jetzt schon von Weitem in Neongelb und Neonorange erkennen lassen. Wer bisher versteckt im Fitnessstudio an Geräten schwitzte, kann seine Übungen in sogenannten Bootcamp-Gruppen auf dem Präsentierteller in den Parks absolvieren – wo alle Spaziergänger vorbeikommen. Und wer bisher auf abgelegenen Routen mit dem Rennrad unterwegs war, postet die zurückgelegte Strecke nun auf Facebook – natürlich inklusive Hinweis auf die neue Bestzeit und Jubel-Selfie.

Dank Smartphone wird mit verbrannten Kalorien geprahlt

Überhaupt haben viele Freizeitathleten ein neues Lieblingssportgerät: das Smartphone. Es ist das ideale Hilfsmittel, um aufzufallen und die eigenen Leistungen sofort über Twitter, Instagram und Facebook verbreiten zu können – und das so beeindruckend wie möglich. Mit der App Runtastic etwa kann man nach der Laufrunde bestens prahlen, wie viele Kalorien man verbrannt und wie viele Höhenmeter man bewältigt hat. Oder mit der App Freeletics kann man seine Bestleistungen bei Fitnessübungen ständig mit denen der sogenannten Community vergleichen.

Sind viele Freizeitsportler also vollkommen der Selbstinszenierung verfallen? Oder warum ist das Posten, Teilen und Veröffentlichen mittlerweile ein so wichtiger Bestandteil ihres Sports? Sie stellen keine Weltrekorde auf. Präsentieren sich aber während jeder Trainingseinheit, als würden sie in einem ausverkauften Stadion auflaufen und danach, als hätten sie gerade olympisches Gold gewonnen.

Die Ziele dieser Hobbyathleten sind offensichtlich. Zuerst einmal wollen sie den Anforderungen entsprechen, die sie in der Gesellschaft wahrnehmen. „In so vielen Bereichen wird Einzigartigkeit erwartet. Jeder soll sich abheben, soll etwas besonderes sein“, sagt der Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette. „Zumal die Position jedes Einzelnen in der Gesellschaft nicht mehr festgelegt ist. Dadurch wird die Ich-Identität immer labiler. Und so greifen viele Menschen auf den Sport und den eigenen Körper zurück.“

Der Sport ist also ein perfektes Mittel, um sich in unserer visuell dominierten Kultur im besten Licht zu präsentieren. „Denn Sport ist so positiv besetzt. Es ist mittlerweile so eine wichtige Instanz“, betont Bette, Professor an der Technischen Universität Darmstadt. In diesem Kampf um Sichtbarkeit erhalten die eigenen sportlichen Leistungen, und seien es nur Joggingrunden im Park, eine ganz neue Bedeutung.

„Für viele Menschen heißt es: Am eigenen Körper kann ich sichtbar für mich und andere Wirkungen erzielen“, sagt die Sportsoziologin Gabriele Sobiech. Die Arbeit am Körper wird somit zu einer Arbeit am eigenen Ich. „Der eigene, besondere Lebensstil soll am Körper ablesbar sein“, sagt die Professorin der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Im Sport kann jeder zeigen: Ich vollbringe wirklich etwas – deshalb sollen das auch alle mitbekommen.

Wer sich fragt, ob er in Job oder Beziehung gut genug ist, kann nach seinem Fitness-Workout Verbesserungen sofort überprüfen. Und wer von der Familie oder den Kollegen genervt ist, sucht liebend gern im Sport nach Möglichkeiten zur Bestätigung. Um sich selbst zu inszenieren, gibt es nichts Besseres als den Sport.

Das hat die Sportartikel-Industrie schon lange erkannt und nutzt dies voll aus. Mit immer neuen schrillen Farbkombinationen für die Outfits, immer auffälligeren Schuhen und immer abgedrehterem technischen Equipment bieten Firmen den Hobbysportlern alles, was sie brauchen, um auf sich aufmerksam zu machen. Zusätzlich zu all diesen Lifestyle-Requisiten ist eines bei der modernen Selbstdarstellung allerdings unerlässlich: das Internet. Nur dank all der Online-Kanäle bietet der Sport jedem einzelnen grenzenlose Möglichkeiten, mit seinen Leistungen Eigenmarketing zu betreiben. Sport und soziale Netzwerke bilden einfach eine unschlagbare Kombination.

Schließlich erweitert das Internet die Aufmerksamkeitssphäre ins Unermessliche. Jetzt sind für die Hobbyathleten nicht nur die Kumpel aus der Cross-Fit-Gruppe die großen Konkurrenten. Nun treten sie mit unbekannten Freizeitsportlern auf der ganzen Welt in den Wettstreit. Nur laufen diese Duelle mittlerweile auf zwei Ebenen ab: Bin ich stärker, schneller und ausdauernder als du? Und: Bekomme ich mehr Likes und mehr aufmunternde Kommentare als du?

Likes und Smileys steigern das Hochgefühl nach dem Sport

Um immer vorne mit dabei zu sein, wird alles Sportliche gepostet: der eigene gestählte Körper, die einzelnen Trainingsübungen sowie die Orte, an denen man seine Liegestütze absolviert. Das dürfen selbstverständlich keine dunklen Fitnessstudios und öden Laufbänder sein. Da ist schon Kreativität gefragt: Yoga im Sonnenuntergang, Joggen am Strand, Rennradfahren vor Bergpanorama. Nur dann steigt die Chance auf begeistertes Feedback bei Facebook, Instagram und Twitter. Und mit den Likes und Smileys steigt eben auch das eigene Hochgefühl nach dem Sport.

Befeuert wird die Gier der Freizeitathleten nach digitaler Liebkosung durch solch märchenhafte Geschichten wie jener von Kayla Itsines. Die 24 Jahre alte Australierin ist der Star unter den Social-Media-Sportphänomenen. Die Fitness-Trainerin postet auf Instagram Fotos ihrer Workouts und gibt Tipps, wie man eine Bikini-Figur wie sie bekommen kann – mittlerweile hat sie mehr als 4,8 Millionen Follower bei Instagram. Ihre Fans nennen sich „Kayla Army“ und posten ihrerseits Vorher-Nachher-Fotos, um die Ergebnisse von Itsines‘ „Bikini Body Guide“-Training zu dokumentieren. Als Itsines im Februar in Berlin ein öffentliches Training anbot, kamen 2000 Mädchen und Frauen. Sie ist das Fitness-Vorbild einer Generation, jettet für ihre Vorführungen um die Welt und ist trotzdem jedem ihrer fast fünf Millionen Fans ganz nah, weil sie sich immer über ihre Posts mit ihnen austauscht. Und die „Kayla Army“ überbietet sich darin, ihrer Bikini-Figur nachzueifern.

Itsines‘ Fans loben die Motivationskraft, die sie aus der riesigen Community ziehen. Und Apps wie Runtastic oder Freeletics betonen in einem fort, dass sich ihre User dank der Vernetzung gegenseitig zu immer neuen Bestleistungen anfeuern. Doch davon auszugehen, dass man sich nur über sportliche Selbstinszenierung besser motivieren kann, ist eine Überhöhung der digitalen Gemeinschaft. Denn die Freizeitsportler beteiligen sich ja vor allem aus Eigennutz. „Die Rituale und soziale Bedeutungen des Sports, auch die Tendenz zur idealisierenden Überhöhung, können quasi-religiösen Charakter entfalten“, sagt Sobiech. Der einzige Zweck bleibt jedoch der, selbst noch fitter, athletischer und schöner zu werden.

Alle wollen irgendwie gleich aussehen

Dabei ergibt sich allerdings ein Paradoxon. „Beim Versuch, einzigartig zu sein, wird ein Einheitsbild standardisierter Körperschablonen angestrebt“, sagt Bette. Bei den Männern sind es die Sixpack-Bauchmuskeln und die muskulösen Oberarme. Bei den Frauen ist es die Bikini-Figur à la Kayla Itsines: ein flacher Bauch und straffe Oberschenkel. So besonders alle Freizeitsportler sein möchten, eigentlich wollen sie alle irgendwie gleich aussehen. Hauptsache dazugehören und alle wissen lassen, dass man doch ständig sein Bestes gibt.

Wie kann man diesen Selbstdarstellungswahn wieder stoppen? Mit Handyverbot auf den beliebtesten Joggingstrecken so wie schon in einigen Cafés und Restaurants? Vielleicht eher so: Freizeitsportler sollten den Sport, den sie betreiben, als das sehen, was er ist: wundervolle, natürliche Bewegung. Es bringt nichts, ihn als Selbstoptimierungsbühne zu überhöhen. Nicht die Pose danach macht den Sport aus, sondern die Bewegung. Das Maßlose kann gerne wieder aus dem Freizeitsport verschwinden. Sport lässt sich viel besser genießen, wenn man dabei nicht ständig darüber nachdenkt, wie man die eigenen Leistungen online präsentiert. So kann man sich ganz auf die Bewegung einlassen.

Und so erreicht man auch viel leichter das Hochgefühl.

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