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Sport: Sensible Härte

Azize Nimani flüchtete einst aus dem Kosovo – nun boxt sie für Deutschland bei der WM

Berlin - Muss ein Mann schwarz sein und aus dem Ghetto kommen, um Boxweltmeister zu werden? Muss eine Frau eine schwere Kindheit haben, um Boxweltmeisterin zu werden?

Azize Nimani ist nicht schwarz, aber ein Kriegsflüchtling. Und sie ist mit ihren 19 Jahren die große Hoffnung des Deutschen Boxsport-Verbands, wenn vom 6. bis zum 19. September in Bridgetown auf Barbados die Weltmeisterschaften im Frauenboxen ausgetragen werden. Die mehrmalige Deutsche Meisterin reist mit sechs Kolleginnen aus Deutschland an; insgesamt werden 307 Athletinnen aus 75 Ländern auf der Karibikinsel gegeneinander antreten.

Nimani hat sich nichts Geringeres als die Goldmedaille im Bantam-Gewicht (bis 54 Kilogramm) vorgenommen. Die traut man der kleinen Frau durchaus zu, wenn man ihr zusieht, wie sie mit schnellen Schlägen den schweren Sandsack in der Halle im tristen Berlin-Hohenschönhausen bearbeitet.

Azize Nimani mit ihren blonden Strubbelhaaren ist eine, die sich durchboxt. Geboren wurde sie 1991 in Mitrovica im Kosovo. Nach mehreren Versuchen gelang es ihren Eltern, sie und Geschwister heimlich nach Deutschland zu schmuggeln, die Kinder auf verschiedene Autos aufgeteilt. Damals, als im Kosovo alles in Trümmern lag. Aber daran hat Azize kaum eine Erinnerung. „Denn ich war ja erst sechs,“ sagt die Wahlberlinerin und lächelt.

Kein Kriegstrauma also. Aber einen gewissen Durchsetzungswillen – „Biss“, wie es in Boxkreisen heißt – sollte jede mitbringen, die in den Ring steigt.

Und den haben vielleicht gerade jene, denen es im Leben nicht immer ganz leicht gemacht wurde. Wie Susi Kentikian, Profi-Weltmeisterin im Fliegengewicht, die mit ihren Eltern aus Armenien flüchtete, in Asylbewerberheimen in Hamburg in der ständigen Angst vor einer Abschiebung lebte, neben der Schule Putzen ging, um Geld zu verdienen, und sich sprichwörtlich aus dem Elend herauskämpfte – bis hinein in die großen Hallen mit Tausenden von Zuschauern und Live-Fernsehen.

„Ähnlich schlimm war es bei uns auch. Aber wenn man so was hinter sich hat, hat man auch den Willen, sich da rauszuarbeiten, und dann weiß man, dass man sein Leben nur selbst in die Hand nehmen kann.“ So lautet Azizes Theorie.

Dass nun schon zum sechsten Mal Weltmeisterschaften unter Boxerinnen ausgefochten werden und dass sogar 2012 Frauen in London um olympisches Gold kämpfen dürfen, ist mehr als ein kleiner Sieg. Denn wenn Frauen boxen, kämpfen sie nicht nur gegen ihre Gegnerin, sondern auch um die Anerkennung ihrer Sportart.

In Berlin entstand vor gut zwei Jahren um Regina Halmichs ehemaligen Trainer Torsten Schmitz ein Elitestützpunkt für Boxerinnen. Man suchte nach weiblichen Talenten. „Den Aufruf entdeckte mein Bruder Besar im Internet“, erinnert sich Azize Nimani. „Bis dahin hatte ich sogar schon zweimal im Ring gestanden – beide Male siegreich, obwohl ich doch nie richtig Boxen gelernt hatte.“ Die logische Konsequenz: Die damals 17-jährige hängte kurzerhand die Fußballschuhe in der zweiten Frauen-Liga bei Arminia Bielefeld an den Nagel, tauschte sie gegen Boxhandschuhe und zog nach Berlin. Hier lebt sie jetzt mit ihrer besten Freundin in Friedrichshain. Trainer Schmitz ist begeistert von seinem Schützling: „Azize ist ein Rohdiamant, kann sogar in beiden Auslagen boxen.“ Nach nur ein paar Wochen Box-Grundschule fuhr die kleine Albanerin zu den Deutschen Meisterschaften, wurde Jugend-Meisterin in der 54-Kilo-Klasse und zur besten Technikerin des Turniers gekürt. Den Finalkampf gewann sie mit ausgekugelter Schulter. So viel zum Thema Durchboxen.

„Alle erfolgreichen Sportlerinnen die ich kenne, haben vielleicht diese besondere Härte, diesen Willen zum Sieg, aber gleichzeitig sind wir auch besonders sensibel. Außerhalb des Rings können mich sogar Worte umhauen“, sagt Azize – allerdings ist sie bis jetzt in ihren 22 Kämpfen ungeschlagen.

Julia Treptow

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