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Keller

© Imago

Serie: "Er fuhr im Cabriolet durch die Stadt – und ich durfte mit“

Deutsche Athleten beschreiben ihren olympischen Moment: Hockeyspielerin Natascha Keller über ihren Bruder Andreas.

Was Olympia wirklich bedeutet, weiß ich spätestens, seit ich meinen Bruder 1992 vom Flughafen Tegel abgeholt habe. Meinen Bruder als Olympiasieger. Es waren unglaublich viele Menschen zum Flughafen gekommen, um mit ihm und den anderen zu feiern, es war eine einzigartige Stimmung. Und ich als seine kleine Schwester durfte die ganze Zeit dabei sein. Das war für mich mehr als aufregend. Ich war so stolz, dass ich so einen Bruder habe.

Doch zum Anfang der Geschichte. Es waren die Spiele von Barcelona, und mein Bruder Andreas gehörte zur deutschen Hockeymannschaft. Hockey ging es wie allen anderen kleineren Sportarten. Von einer Weltmeisterschaft zeigte das Fernsehen ein paar kürzere Berichte, sonst war nicht viel zu sehen. Bei Olympia aber war Hockey dann auf einmal ganz präsent.

Ich war damals 15 Jahre alt und gerade mit meinen Eltern im Urlaub auf Föhr. Die Gruppenspiele haben wir bei unseren Nachbarn gesehen, weil wir keinen Fernseher hatten oder keinen Empfang, irgendetwas war da, genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Zum Finale waren wir wieder in Berlin. Wie das Endspiel gelaufen ist, weiß ich gar nicht mehr. Hängen geblieben sind vor allem die Bilder von meinem Bruder und seinen Mitspielern, wie sie jubeln und feiern.

Mein Bruder und ich sind Halbgeschwister, wir sind nicht zusammen aufgewachsen. Aber ich habe ihm trotzdem wohl immer unbewusst nachgeeifert. Ich habe Gitarre gespielt – wie er. Ich habe jongliert – wie er. Und ich habe mit sechs Jahren angefangen, Hockey zu spielen. Zwischenzeitlich war mein Bruder auch mein Trainer. Dass ich einmal bewusst gesagt habe, ich will einmal Olympiasiegerin werden, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich bin da so reingewachsen. Erst wollte ich Bundesliga spielen, dann in der Nationalmannschaft und wenn man dort ist, will man natürlich auch zu den Olympischen Spielen.

Aber der Olympiasieg meines Bruders hat mich auf jeden Fall geprägt. Vor allem der Tag seiner Ankunft in Berlin. Da ist das alles für mich greifbar geworden. Für meinen Bruder war ein Cabriolet reserviert, und ich durfte da auch mit rein. Damit sind wir dann quer durch die Stadt gefahren. Ich kam mir wie ein Politiker vor, so habe ich es mit meinen 15 Jahren empfunden. Dieser Tag, das ist mein olympischer Moment.

Ich wusste ja damals nicht, dass ich zwölf Jahre später das Gleiche erleben würde wie mein Bruder. Diesen Olympiasieg 2004 in Athen selbst zu erleben, war wirklich das Allergrößte. Es gab noch nie Gold für die deutschen Hockeydamen, die Übertragung lief zu einem guten Zeitpunkt im Fernsehen – es hat wirklich alles gepasst. Wir konnten das erst auch gar nicht richtig fassen. Am beeindruckendsten war es, als wir nach Berlin zurückkamen. Es war so laut und so voll am Flughafen. Da war eine Menschenmenge – unglaublich. Wir kamen erst gar nicht raus. Der ganze Hockeyverein war da.

Dann sind wir, wie damals mein Bruder, durch die ganze Stadt gefahren, zwar nicht im Cabriolet, sondern in einem Bus, aber es war trotzdem unglaublich, vor allem das, was unser Verein auf die Beine gestellt hatte. Ich habe so viele Menschen kennengelernt, Politiker, Unternehmer. Mich haben auch wildfremde Leute angesprochen und mir gesagt: „Ich hatte Tränen in den Augen, als ich euch im Endspiel gesehen habe.“ Wenn ich mir heute manchmal noch die DVD anschaue, die unser Trainer zusammengestellt hat, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut.

Auf diese Olympischen Spiele in Peking freue ich mich auch wieder sehr. Aber es wird ganz anders sein als vor vier Jahren. Was in Athen passiert ist, das wird man nicht wiederholen können.

Aufgezeichnet von Friedhard Teuffel. Die weiteren Folgen finden Sie hier hinter diesem LInk.

Natascha Keller

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