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Sport: Sezierte Spiele

Bundestrainer Klinsmann analysiert mit Hilfe von Wärmebildern und Weitwinkelkameras

Man kann nicht sagen, dass die Sache besonders gut gelaufen ist für Frank Fahrenhorst. Zwei Länderspiele hat er unter Bundestrainer Jürgen Klinsmann bestritten, es waren die ersten beiden in dessen Amtszeit. Und weil Fahrenhorst schon lange nicht mehr zu Klinsmanns Kerntruppe gehört, hat die Loyalität des Bundestrainers zum Verteidiger von Werder Bremen nachgelassen. Klinsmann hat vor kurzem vom Länderspiel gegen Brasilien im September 2004 erzählt, das die Sportliche Leitung der Fußballnationalmannschaft mit einer speziellen Weitwinkelkamera aufnehmen ließ. Bei der späteren Analyse sind Klinsmann im Spiel von Fahrenhorst erhebliche Fehler aufgefallen: „Der Frank hat immer den Moment verpasst, richtig aufzurücken, und sich selbst in Probleme gebracht.“

Diese Erfahrung hat den Bundestrainer in seiner Ansicht bestärkt, möglichst alle technischen Hilfsmittel zu nutzen. Im Trainingslager in Genf, in dem nun auch noch Jens Lehmann zur Mannschaft gestoßen ist, werden sogar die Trainingseinheiten mit einer Weitwinkelkamera gefilmt, um zu sehen, wie die Spieler sich aufwärmen, wie ihre Körperspannung ist, wie sie sich bewegen. Christofer Clemens von Mastercoach International wird das Material Tag für Tag sichten, in Zusammenarbeit mit Klinsmanns Chefscout Urs Siegenthaler Szenen herausfiltern und für jeden Spieler eine DVD zusammenstellen.

Jürgen Klinsmann hat seit seinem Amtsantritt sämtliche Möglichkeiten der Visualisierung eingesetzt. Seine Powerpoint-Präsentationen sind längst Legende, die DVD-Sammlung seiner Spieler ist in den vergangenen 22 Monaten erheblich angewachsen, in Genf erhält nun jeder eine weitere DVD mit Szenen aus dem letzten Länderspiel gegen die USA. „Das ist eine Generation von Spielern, die etwas viel leichter aufnimmt, wenn man es ihr zeigt, als wenn man es ihr nur erklärt“, sagt Klinsmann.

Jens Urlbauer, Geschäftsführer von Mastercoach, spricht von der „Suche nach visuellen Reizen“. Die Spieler sollen nicht mit stundenlangen Videositzungen gequält werden, wie es früher der Fall war, vor allem als Strafmaßnahme. Spätestens nach 20 Minuten lässt die Aufmerksamkeit merklich nach. „Es ist immens wichtig, den Spielern auf den Punkt genau zu zeigen, was sie machen sollen“, sagt Urlbauer.

Mastercoach hat vor fünf Jahren zum ersten Mal mit dem Deutschen Fußball- Bund (DFB) zusammengearbeitet. Vor den WM-Relegationsspielen gegen die Ukraine bekam das Unternehmen den Auftrag, eine Analyse des Gegners zu liefern. Mastercoach wies vor allem auf die Schwächen der Ukrainer im Kopfballspiel hin. Beim 4:1-Sieg in Dortmund, der die Deutschen zur Weltmeisterschaft brachte, ging allen vier Toren ein gewonnenes Kopfballduell voraus. Trotz dieser Erfahrung verzichtete Teamchef Rudi Völler auf eine weitere Zusammenarbeit. Erst sein Nachfolger hat die Dienste des Düsseldorfer Unternehmens wieder in Anspruch genommen.

Mastercoach bietet inzwischen kompliziertere Analysemethoden an. Mit dem Programm Posicap kann jedes Spiel in seine Einzelteile seziert werden. Es eignet sich vor allem für die Gegnerbeobachtung. Die Software Amisco Pro liefert eine komplette Spielfeldanalyse aus der Vogelperspektive.

Die Daten für Amisco Pro werden mit acht fest installierten Wärmesensoren ermittelt, die unter dem Stadiondach angebracht sind. Insgesamt 30 Stadien in Europa sind mit dieser Technik ausgerüstet, darunter auch drei deutsche (Hamburg, Wolfsburg und Leverkusen). 25 000 Euro kostet die Installation, für eine aussagekräftige Analyse ist laut Urlbauer eine Investition von 50 000 Euro pro Saison notwendig. Der FC Chelsea, der im Jahr rund 180 Spiele auswerten lässt, zahlt für sein Paket weit mehr als 100 000 Euro. Mit Hilfe der Wärmekameras sind exakte physische Daten für jeden Spieler zu ermitteln: Wie viel ist er gelaufen? Wie oft ist er gesprintet? In welcher Intensität? Jedes Ereignis lässt sich herausfiltern: Tore, Befreiungsschläge, Zweikämpfe. Man kann sich von jedem Spieler alle Pässe als Pfeile anzeigen lassen, ihre Richtung, ihre Länge und ob sie beim Mitspieler oder beim Gegner gelandet sind.

Rafael Benitez, der Trainer des FC Liverpool, hat Amisco Pro einmal als „meine Geheimwaffe“ bezeichnet. Es liefert vor allem in taktischer und technischer Hinsicht Erkenntnisse. Zum Beispiel gilt der deutsche Fußball im internationalen Vergleich als eher langsam und träge. „Die Daten, die wir ermitteln, bestätigen das“, sagt Christofer Clemens. Ein Parameter dafür ist, wie oft ein Spieler den Ball berührt, wenn er in Ballbesitz ist. Je niedriger der Wert, je direkter also der Ball gepasst wird, desto schneller das Spiel. In der Champions League beträgt der Topwert 1,5; bei deutschen Mannschaften sind es eher 2,3 oder 2,4.

Gegen Japan, beim vorletzten Test vor der WM-Eröffnung, soll das deutsche Spiel noch einmal mit Amisco Pro seziert werden. Mastercoach hat dies schon im vergangenen Jahr beim Spiel gegen China und beim 0:0 gegen Frankreich getan. Das Spiel in Paris galt nach einigen Rückschlägen im vergangenen Herbst als Zeichen der Hoffnung. „Das Spiel sah nicht nur im Fernsehen gut aus“, sagt Jens Urlbauer, „es sah auch von den objektiven Werten gut aus“.

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