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Sport: Sie müssen leider draußen bleiben

Für die meisten Südafrikaner wird die Fußball-WM nicht den erhofften wirtschaftlichen Segen bringen

Es ist drückend heiß. In einem Innenhof, ein paar Gehminuten von der Kapstädter Innenstadt entfernt, spielt eine Handvoll Jugendlicher in der Nachmittagshitze Fußball. Eine Mission hat den Bolzplatz für Straßenkinder eingerichtet, mit Metalltoren und bereits löchrigen Tornetzen. Merlin ist 17 Jahre alt, schmächtig, er trägt kurze Rastazöpfe. Die größten Fußballer der Welt kommen bald, darauf warten sie hier alle. Auf Steven Gerrard zum Beispiel, den Mittelfeldspieler vom FC Liverpool, den mag Merlin besonders. Obwohl das neue, 450 Millionen Euro teure Kapstädter WM-Stadion nur rund einen Kilometer Luftlinie vom Bolzplatz entfernt ist, wird Merlin sein Idol allenfalls im Fernsehen sehen. Zwar werden wegen der schwachen Kartennachfrage nun nicht zehn, sondern sogar 20 Prozent der WM-Tickets in der günstigsten „Kategorie Vier“ für 14 Euro an Südafrikaner verkauft. Doch selbst das ist für Merlin wie für die meisten der 47 Millionen Südafrikaner noch zu viel. Seine Eltern sind Alkoholiker, die fünf Geschwister gehen betteln.

Wenn am 11. Juni die Fußball-WM am Kap beginnt, wird Merlin wohl nicht einmal auf dem Bolzplatz kicken. Denn der ist dann vier Wochen lang gesperrt. So will es jedenfalls die Fifa, deren Wort jetzt erst einmal Gesetz ist. Auch in Südafrika wird dem Weltfußballverband fast jeder Wunsch erfüllt. In einer Spezialzone, der sogenannten „exclusion zone“, die von der Innenstadt bis zur Bannmeile um das Stadion reicht, gelten dann besondere Regeln, die Kapstadts Stadtverwaltung zusammen mit der Fifa erlassen hat – und die auch das Betteln von Straßenkindern verbieten. Schließlich soll die WM sicher sein und gleichzeitig Südafrikas ramponiertes Image aufpolieren.

Auch Geschäfte darf in der Spezialzone nur machen, wer eine Fifa-Lizenz besitzt oder wie Coca Cola, Adidas oder Sony zu den offiziellen Sponsoren der WM zählt. Die vielen Straßenhändler, die täglich aus den Townships in die Kapstädter City strömen, um dort ein paar Rand zu verdienen, dürfen dann nichts verkaufen, was irgendwie auf die WM verweist, weil dies gegen das Markenrecht verstoßen würde. Das war in Deutschland nicht anders. Immerhin darf die South African Breweries (SAB), der weltweit zweitgrößte Bierbrauer, den eigenen Gerstensaft in den Fanmeilen verkaufen, weil der offizielle Sponsor Budweiser nicht die Kapazitäten dafür hat. Allerdings darf selbst SAB dies nicht zu einer Werbekampagne missbrauchen und muss deshalb auf das eigene Logo verzichten. „Die WM wird als hoch profitables Geschäft vermarktet, aber die einfachen Südafrikaner bleiben außen vor“, empört sich der farbige Gewerkschaftler Tony Ehrenreich. „Die Hoffnung, dass auch sie irgendwie profitieren, hat sich zerschlagen.“

Das Gleiche gilt auch für die Arbeiter, die bis vor kurzem am nahegelegenen Kapstädter WM-Stadion gewerkelt haben. Ein paar wenige der einst 2500 Arbeiter sind noch hier, um die letzten Arbeiten in der Arena von Kapstadt zu erledigen. „Natürlich mache ich mir Sorgen, was nach der WM passiert“, sagt Charles Kaitesi, der eigentlich aus dem Kongo kommt und hier als Kletterer gearbeitet hat. Weil es in Südafrika kaum Facharbeiter gibt, die in großen Höhen Stahlgerüste installieren können, mussten sie von außerhalb angeheuert werden. Nur knapp die Hälfte von ihnen hatte zuvor irgendwelche Erfahrung und wurde deshalb in Schnellkursen angelernt; der Rest war „learning by doing“.

Die Löhne auf der Baustelle lagen weit unter europäischem Niveau. Dennoch waren die Jobs in Green Point und den anderen Stadionbaustellen heiß begehrt, zumal die Arbeitslosigkeit am Kap unter den Schwarzen im Schnitt bei etwa 40 Prozent liegt – und Arbeiter anderswo auch nicht besser verdienen. Statt eine Million neue Jobs zu schaffen, wie der neue Präsident Jacob Zuma zu seinem Amtsantritt im April letzten Jahres versprochen hatte, ist in den letzten zwölf Monaten fast die gleiche Zahl verloren gegangen.

Neben der Baubranche sollte vor allem der Tourismus profitieren, besonders in den schwarzen Wohngebieten. Doch selbst die kleinen und vergleichsweise billigen Unterkünfte in den Townships haben unter der Wirtschaftsflaute gelitten. „Ich habe in den letzten drei Jahren kein so schlechtes Jahr wie 2009 gehabt und auch für die WM sieht es nicht gut aus“, klagt Ben Muraya, der seine Bed-and-Breakfast-Pension in Khayelitsha hat. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass statt der eigentlich zur WM erwarteten 450 000 Besucher nun wohl allenfalls 300 000 aus Übersee ins Land kommen werden.

Azar Jammine kann das alles nicht entmutigen: „Südafrika ist mit anderen WM-Ausrichtern wie Deutschland nicht vergleichbar“, sagt der renommierte Johannesburger Ökonom. Der Grund dafür liege in der völlig unterschiedlichen Größe der beiden Volkswirtschaften. So sei Südafrikas Wirtschaft insgesamt13 Mal kleiner als die Deutsche, auch die Infrastruktur des Landes ist schwächer ausgebaut. Entsprechend groß könne der langfristige Nutzen einer WM für die Entwicklung Südafrikas sein.

Was möglich wäre, zeigt auch die von den WM-Organisatoren besonders gern präsentierte Zoliswa Gila. Die 33-Jährige sorgte landesweit für Schlagzeilen. Bei ihrer Bewerbung für einen Job am Kapstädter WM-Stadion hatte die Frau, die zuvor in den Townships billiges Fleisch am Straßenrand verkaufte, nicht einmal einen Führerschein. Für sie hat sich durch die WM ein Traum erfüllt: Zuletzt saß Zoliswa buchstäblich ganz oben – als erste weibliche Kranführerin Südafrikas.

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