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Und dann stehst du im Regen... Michael Schumacher weiß noch nicht, wohin es nach dem Aus bei Mercedes für ihn geht.

© Reuters

Sinkender Mercedes-Stern: Michael Schumacher: Tramper ohne Ziel

Bei Mercedes hat er sich ins Aus manövriert. Nun rätselt die Formel 1: Hört Michael Schumacher auf oder nicht?

Von Christian Hönicke

Charlie Whiting schüttelte ungläubig den Kopf. Der Rennleiter der Formel 1 wollte gerade den Großen Preis von Ungarn starten, als er ganz hinten jemanden mit beiden Armen wedeln sah. Es war Michael Schumacher, der in seinem Mercedes winkte wie eine Rentnerin auf einer Sonntagsfahrt, die ihr Auto an der Ampel abgewürgt hat. Whiting brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ihm Schumacher signalisieren wollte – dann brach er den Start ab. Der Rekordweltmeister hatte sein Auto auf den falschen Startplatz gestellt.

Die Szene aus den letzten Julitagen ist typisch für die wenig erfolgreiche zweite Formel-1-Karriere des Michael Schumacher. Es war nicht das einzige Mal seit seinem Comeback 2009, dass der Mercedes-Pilot die Orientierung verlor. Am folgenschwersten verirrte er sich dabei neben der Strecke: bei den Vertragsverhandlungen mit Mercedes. Deswegen wird in der kommenden Saison der Brite Lewis Hamilton in seinem Wagen sitzen, deswegen muss Schumacher womöglich endgültig aufhören. „Vom Mythos zum Arbeitslosen“, schreibt der „Corriere della Sera“ und fragt: Darf eine Legende so enden?

Wie bei so vielen Unfällen in seiner Karriere trägt der siebenmalige Weltmeister auch diesmal eine Mitschuld. Seinen auslaufenden Vertrag mit Mercedes hätte er schon im Sommer verlängern können. Das gab seine Managerin Sabine Kehm zu erkennen, das bestätigte auch Mercedes-Teamchef Ross Brawn. Schumacher aber habe nie ein klares Signal gegeben, ob er über das Saisonende hinaus bleiben wolle, erklärte Brawn der BBC: „Michael war immer unsicher, was er machen will.“

Bildergelerie: Michael Schumachers Karriere

Was genau den Deutschen stutzen ließ, darüber kann nur spekuliert werden. War es die Leistungsfähigkeit seines Autos, das meist nur Fahrten im Mittelfeldgetümmel zuließ? Oder waren es Zweifel an seiner eigenen Stärke, an seinen Augen, seinen Reflexen, die immer wieder Gegenstand öffentlicher Debatten waren? Doch wie er so sinnierte, verlor Schumacher die Zeit völlig aus den Augen – und seine Verhandlungsposition. Er erkannte nicht, dass sein Name auch im eigenen Rennstall verblasste. Als er fast schon frech erklärte, er wolle sich frühestens im Oktober entscheiden, hatte Mercedes genug. Man nahm Kontakt zu Lewis Hamilton auf, und plötzlich war Schumacher nur noch Zuschauer im Rennen um seine eigene Zukunft. Am Ende wurde der 91-malige Grand-Prix-Sieger mit einer Pressemitteilung so eiskalt abserviert, wie er es früher mit seinen Gegnern getan hatte.

Mercedes hat ihm schon Anschluss-Jobs angeboten

Nun steht der erfolgreichste Autorennfahrer der Geschichte wie ein rausgeworfener Tramper am Wegesrand. Doch wohin will der Mann, dessen einziges Ziel im Leben stets die karierte Flagge war? Dass sich Schumacher bislang nicht zu seiner Zukunft geäußert hat, lässt den Schluss zu, dass er eine Fortsetzung seiner Karriere in Erwägung zieht. Die Optionen sind allerdings nicht eben zahlreich. Bei Ferrari wackelt zwar Felipe Massa, und Italiener mögen herzlich sein, aber so herzlich wohl doch nicht. Laut einer Umfrage der „Gazzetta dello Sport“ wollen 57 Prozent ihrer Leser ihr angerostetes Idol von einst nicht mehr im roten Renner sehen. Es bleibt eigentlich nur das Privatteam Sauber, derzeit ganz gut im Rennen, aber prinzipiell eher ein Abwrackplatz für Legenden. Schumacher denkt dennoch offenbar ernsthaft darüber nach. Seine Managerin wurde zuletzt auffallend oft bei Saubers gesehen.

Mercedes hat ihm noch Posten hinter der Boxenmauer als Berater oder Markenbotschafter in Aussicht gestellt. Ein Gnadenbrot für alte Rennpferde. Aber mit einer solchen Position war der Racer Schumacher schon bei Ferrari nicht warmgeworden. Schumacher ist kein Typ, der Ratschläge verteilt; er ist auch mit 43 immer noch ein spätpubertärer Adrenalinkicksucher. Die Welt des Geistes, die er nach dem Ende seiner ersten Karriere erkunden wollte, war nichts für ihn. Er sprang lieber mit dem Fallschirm durch die Luft oder raste auf dem Motorrad durch die Gegend. Deswegen kam er 2009 nach drei Jahren Pause zurück in die Formel 1.

Viele hielten und halten das Comeback für einen Fehler. Als Verwalter seiner eigenen Legende hat Schumacher in der Tat kein glückliches Händchen bewiesen. Doch er wollte auch gar nicht den Denkmalpfleger für Schumi geben, er wollte fahren. Und er fuhr, wenn auch nicht mehr so schnell wie früher. Das lag mal am Auto, mal an ihm; starke Momente wechselten sich mit Rempeleien im Mittelfeld ab. Die Zuschauer gewöhnten sich daran, und überraschenderweise auch er selbst. Im dritten Jahr kam er langsam besser in Schwung, war sogar zeitweise schneller als sein Teamkollege Nico Rosberg. Doch der alte Schumi, er kam nicht wieder.

Beim letzten Rennen in Singapur knallte Schumacher Jean-Eric Vergne ins Heck. Der Franzose war nicht mal mehr sauer auf ihn, stattdessen legte er den Arm auf seine Schulter. Mitleid von einem Niemand, das muss wehgetan haben. Irgendwas mit der Bremskraft habe nicht gestimmt, murmelte Schumacher, und man mochte ihm glauben. Er schaute traurig, er ahnte wohl schon, dass sein Team gerade den Vertrag mit Hamilton aufsetzte.

Sechs Rennen sind es noch bis zum Saisonende. Gewinnen wird Michael Schumacher wohl nicht mehr. Er hat sechs Rennen Zeit, um den Weg ins Ziel zu finden.

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