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Sport: Skandal, Teil 2

Paul Hamm wollte in Athen einfach nur turnen – die Kampfrichter unterstützen ihn dabei nach Kräften

Zehn Minuten lang hatte Paul Hamm in ohrenbetäubendem Lärm gewartet, um seine Kür am Reck beginnen zu können. Doch die 12 000 zumeist griechischen Zuschauer pfiffen und buhten gnadenlos. Der Tumult auf den Rängen der Olympiahalle hatte die Punkterichter bereits veranlasst, ihre Wertung für den Russen Alexej Nemow neu zu beraten und um 0,04 Punkte auf 9,762 zu verbessern. Doch es half nicht. Die Pfiffe gellten weiter durch die Halle. Paul Hamm hatte die rettende Idee. „Ich habe Alexej gebeten, zu mir heraufzukommen“, sagt der US-Amerikaner, „ich kenne ihn aus dem vergangenen Jahr, er ist eine ehrenwerte Person.“ Der Russe machte beschwichtigende Handbewegungen und legte den Zeigefinger vor die Lippen. Jetzt erst beruhigte sich das Publikum – und wurde doch wieder laut, als Hamm für seine keineswegs höherklassigere Übung mit 9,812 bewertet wurde. Immerhin hatte die Entscheidung keine Auswirkung auf die Vergabe der Goldmedaille. Die bekam der Italiener Igor Cassina vor Hamm. Nemow wurde Fünfter.

Schon zum zweiten Mal bei diesen Olympischen Spielen fand sich Paul Hamm als Hauptfigur in einem Skandal wieder, den er selber nicht zu verantworten hat. „Ich bin hierher gekommen, um meine Turnübungen zu machen“, sagte der 22-Jährige, der mit seinem Zwillingsbruder Morgan für das Team der USA turnt. „Die Entscheidungen anderer haben mich da hineingezogen.“ Es ist das zweite Mal im Turnen, dass das Publikum bei Olympischen Spielen die Note beeinflusst hat. 1968 pfiffen die Zuschauer in Mexiko-Stadt so lange, bis die Tschechin Vera Caslavska die Goldmedaille erhielt.

Am Montag hatten die Punkterichter den Russen Nemow niedrig bewertet, obwohl dieser eine spektakuläre Luftakrobatik gezeigt hat. Das konnte jeder Laie erkennen, weshalb das Publikum ausführlich pfiff. Doch hatte er auch die bessere Übung gezeigt? „Ich fand die Bewertung richtig“, sagte der deutsche Turner Fabian Hambüchen, der auf Platz sieben landete. „Der Russe hatte bei der Landung einen Fehler gemacht.“ Dennoch plant das russische Nationale Olympische Komitee, beim Internationalen Olympischen Komitee gegen die verfälschten Wertungen im Turnen zu protestieren.

Womöglich haben die Zuschauer auch deshalb gepfiffen, weil Paul Hamm bei seinem Sieg im Mehrkampf von einem Fehler der Punkterichter begünstigt worden ist. Diese hatten für Yang Tae-Young einen nachweislich zu niedrigen Ausgangswert am Barren berechnet. Ohne diesen Fehler hätte der Südkoreaner Gold statt Bronze gewonnen. Der Verband suspendierte die drei verantwortlichen Punkterichter, änderte aber nichts am Endergebnis. Der Präsident des Internationalen Turnverbandes FIG, Bruno Grandi, sagte der Agentur Associated Press: „Ich fände es am besten, wenn Paul Hamm seine Medaille nehmen würde und…“ Grandi deutete eine Medaillenübergabe an.

Das empörte Paul Hamm. „Die FIG muss selber eine Entscheidung treffen und diese nicht auf mich abwälzen.“ IOC-Sprecherin Giselle Davies erklärte sich ebenfalls für nicht zuständig. „Es ist Sache der Verbände, uns ein korrigiertes Ergebnis zu melden.“ Gegenwärtig besprechen die NOKs der USA und Südkorea den Fall.

Turnen ist eine subjektiv zu bewertende Sportart, die Geschichte ist voll von diskussionswürdigen Entscheidungen. Vielleicht empfand deshalb einer die Ereignisse als nicht so schlimm. Der Deutsche Fabian Hambüchen, der erst als Drittletzter an die Reihe kam, hatte den Lärm im Gang zur Halle gehört. Er sagt: „Ich fand den ganzen Trubel super.“

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