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Sport: Skateboard ist Lebens- und Überlebensgefühl

In der Gruppe losfahren und doch für sich bleiben: Jeder soll tun, was ihm Spaß machtVON FRIEDHARD TEUFFEL BERLIN.Etwas anders, aber doch irgendwie alltäglich: Das Zuhause dieser Sportart ist die Straße.

In der Gruppe losfahren und doch für sich bleiben: Jeder soll tun, was ihm Spaß machtVON FRIEDHARD TEUFFEL BERLIN.Etwas anders, aber doch irgendwie alltäglich: Das Zuhause dieser Sportart ist die Straße.Der Akteur ist ein jugendlicher Jedermann, eingehüllt in Klamotten, die über seinen Sport hinaus bei den Altersgenossen angesagt sind.Skateboarder ist man nicht nur für ein paar Stunden am Tag.Skateboarden ist Lebensgefühl und Überlebensgefühl.Eine der wichtigen Parolen der Szene lautet: "Skate or die!" Zur Beschreibung dieser Fortbewegung auf einem Brett mit vier Rädern reicht ein Wort nicht aus.Hindernisse wollen übersprungen, Geländer hinabgerutscht und Flächen überrollt werden.Skaten bedeutet, ein Wagnis einzugehen, die Stadt mit ihren Treppen, Tunneln und Passagen zu meistern."Als Skater nimmt man seine Umwelt ganz anders wahr.Man hält ständig Ausschau nach reizvollen Orten", erzählt Andreas Hesse vom 1.Berliner Skateboard Verein.Die Natur der Skater ist die Straße.Nur für ein spezielles Training oder einen Wettbewerb suchen sie Skatehallen auf.Dort warten Rampen, Geländer und vor allem die Halfpipe.Einen Wettbewerb richtete der Verein kürzlich im "Skate In" aus, die Deutsche Skateboard-Meisterschaft. Zwei Wettbewerbsformen haben sich durchgesetzt: "Streetstyle" und "Halfpipe".In beiden Disziplinen muß der Skater in einer vorgegebenen Zeit so viele unterschiedliche Kunststückchen wie möglich vorführen, bei "Streetstyle" auf Rampen, Geländern und flachem Boden, bei "Halfpipe" mit Helm und Gelenkschützern in der Röhre. Einer der Teilnehmer hat eine weite Anreise hinter sich.Der 23jährige Vincent Gootzen kommt aus Maastricht.Trotzdem darf er bei den Deutschen Meisterschaften mitmachen.Der Kunststudent mußte für das Wochenende in Berlin nicht einmal etwas bezahlen.Fahrt und Unterkunft erhält er ebenso von einem Sponsor erstattet wie seine Ausrüstung.Damit gehört er zu den wenigen Glücklichen, die in ihren Sport nicht viel Geld investieren müssen.Ein gutes Skateboard kostet mittlerweile bis zu 400 Mark.Hinzu kommt die Kleidung. Gootzen zählt zu den herausragenden Skatern in Europa.Dennoch ist er Amateur.Die Szene verlasse zwar langsam den "Underground"-Status, "aber nur in Amerika gibt es echte Profis, die mehrere tausend Dollar im Monat verdienen", erzählt er.Das liege vor allem daran, daß die Szene noch recht jung sei.Das meint Gootzen wohl in zweifacher Hinsicht.Bei der Meisterschaft ist er mit 23 Jahren einer der ältesten."Skateboard kann man auch noch mit 50 fahren", sagt Gootzen zwar.Aber durch die enge Bindung an jugendliche Textilien und Hip-Hop-Musik "springen" die meisten vor dem 25.Lebensjahr wieder ab. Skaten ist männlich.Bei der Deutschen Skateboard-Meisterschaft waren zwar viele Zuschauerinnen anwesend, nach Skaterinnen suchte man dagegen vergeblich."Skateboard ist ein harter Sport.Es kommt manchmal zu Bänderverletzungen und Knochenbrüchen.Das schreckt vielleicht viele ab.Aber die Zahl der weiblichen Skater hat zugenommen", berichtet Andreas Hesse.Was Skateboard von anderen Sportarten unterscheidet, ist die Individualität.In der Gruppe losfahren und doch für sich bleiben."Skateboard ist kein Teamsport.Jeder soll tun, was ihm Spaß macht", erzählt Gootzen.Vereine haben weder Tradition noch Zukunft.Der Berliner Skateboard Verein ist nicht nur der erste, sondern auch der einzige Skateboard-Klub in der Hauptstadt und einer der ganz wenigen in der Republik."Wir brauchen keinen Trainer.Was wir mit dem Skateboard machen, haben wir uns entweder selber ausgedacht oder aus Magazinen und Videos abgeschaut", sagt Gootzen. Die Funktion des seit zwanzig Jahren existierenden Berliner Skateboard Vereins (Telefon 616 19 59) besteht in der Informationsvermittlung und der Ausrichtung von Wettbewerben.Zudem erhalten die derzeit 70 zahlenden Mitglieder verbilligten Eintritt in den Skatehallen.Hesse hält seinen Klub auch deswegen für unentbehrlich, weil er die einzige ernstzunehmende Skateboard-Lobby in der Stadt sei: "Wir sind ein Sprachrohr für die Skater.Als Verein können wir unsere Forderungen gegegenüber dem Berliner Senat besser durchsetzen." Doch Lobbyarbeit ist Sisiphusarbeit.Viel zu selten nutze der Senat den Klub als kostenlose Beratungsstelle."Das Ergebnis sind teilweise Anlagen, die so gestaltet sind, daß kein Skater sie benutzen kann, ohne seine Kugellager in kürzester Zeit zu ruinieren", sagt Hesse. Die Anlagen müssen sich die Skateboarder mit einer anderen Gruppe teilen: den Inline-Skatern.An Popularität haben die Inline-Skates das Board längst überholt.Inlinefahren ist eine Freizeitkultur mit dem Fitneßelement als Lebensversicherung: Es ist angeblich gelenkschonender als Joggen und leistungsfördernder als Radfahren.Derlei Vorzüge besitzt das Skateboard nicht.Dafür ein gutes Verhältnis zur Textil- und Musikindustrie."Das Skateboard ist Trendsetter und Modemacher", sagt Andreas Hesse.Er fürchtet jedenfalls nicht, daß die rollenden Bretter irgendwann einmal von der Straße verschwinden: "Eher gibt es kein Holz mehr."

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