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Höher, schneller, gefährlicher. Die Schanze in Vikersund.

© dpa

Skiflug-WM in Vikersund: Das Monster ruft

Auf der größten und gefährlichsten Schanze der Welt suchen die Skiflieger in Vikersund ihren Weltmeister. Es ist ein Wettkampf zwischen Weltrekord und Wahnsinn.

Von Katrin Schulze

Dieses Ding ist so groß und so tückisch, dass es nur noch als Monster durchgeht. Wer wahnsinnig genug ist, wird sich mit ihm anlegen, und wenn er Glück hat, wird er es unbeschadet überstehen. Er wird heil landen im Auslauf der Schanze von Vikersund, die von Veranstaltern und Athleten unter dem Namen „Monsterbakken“ fungiert und in den kommenden Tagen die Weltmeister im Skifliegen ausspucken wird. Es wird ein Rennen um den besten Athleten – und eines um neue Rekordweiten. Die Veranstalter versprechen, dass Flüge von mehr als 250 Metern „definitiv möglich“ seien. 250 Meter weit soll es ein Mensch nur mit Skiern und ordentlich Schwung also bringen können. Etwa acht Sekunden schwebt er dann durch die Luft. Ist das der neue Traum vom Fliegen?

Im vergangenen Jahr haben sich die Norweger nach ausgiebigen Umbauarbeiten die größte und gefährlichste Schanze der Welt auf ihren Boden gesetzt. Und die Athleten, die es schon einmal probiert haben, sie zu bewältigen, sind hin- und hergerissen zwischen Nervenkitzel und Zweifel. Für den Deutschen Severin Freund fühlt es sich „extrem geil“ an so weit zu fliegen. Dennoch sind die Kräfte im Flug so groß, „dass es einem fast die Schuhe auszieht“, sagt sein Trainer Werner Schuster. Es ist auch diese Mischung aus dem Mut junger Burschen und dem immer mitschwebenden Risiko, die den Reiz des Skifliegens seit jeher umgibt.

Bis zu 120 Stundenkilometer beträgt das Tempo der Athleten in der Luft, der Puls geht hoch bis 180, der Adrenalinausstoß erreicht wie bei Menschen in Todesangst das Vierfache des normalen Wertes. „Vor jedem Fliegen ist Angst und Respekt da. Man hat weiche Knie“, erzählt Martin Schmitt. Der 34-Jährige hat viele Weltmeisterschaften im Fliegen erlebt, ist wegen Formschwäche in Vikersund allerdings nicht am Start.

Was wirklich passieren kann, wurde erst am Sonntag wieder deutlich. Der Slowene Peter Prevc hat sich da in Oberstdorf beim Versuch, eine neue Rekordweite zu erzielen, mehrere Bänder in der Schulter gerissen. Wenn es immer höher und weiter gehen soll, wird es eben automatisch auch gefährlicher. Und beim Skifliegen potenziert sich das Risiko im Vergleich zum Springen noch einmal.

Die Flieger überbieten sich, so wie sich auch die Schanzenbauer immer wieder mit neuen Konstruktionen übertreffen. Norwegen bastelt dabei ganz vorne mit. Am Holmenkollen in Oslo thront seit zwei Jahren die prunkvollste und teuerste Skisprungschanze, in Vikersund nun die größte und spektakulärste Skiflugschanze der Welt. Dafür hat man eigens eine Regeländerung beim Ski-Weltverbandes forciert, wonach der Höhenunterschied zwischen Schanzentisch und Auslauf inzwischen 135 Meter betragen darf – fünf Meter mehr als vorher. Den Schanzen- und Weltrekord hat Johan Remen Evensen aufgestellt, als er im vergangenen Februar auf dem Monster 246,5 Meter weit segelte. Bei der Qualifikation am Donnerstag wurde Evensens Bestmarke noch nicht überboten. Gut möglich, dass es beim Wettkampf heute (16.30 Uhr, live bei ARD und Eurosport) soweit ist.

Wer erinnert sich angesichts solcher Aussichten noch an den Finnen Toni Nieminen, dessen Weltrekordflug auf 203 Meter im Jahr 1994 noch als übermenschlich galt? Heute springt der beste Deutsche 227,5 Meter weit. Michael Neumayer wollte „als amtierender deutscher Skiflugrekordhalter die bisherige Bestmarke in Vikersund natürlich übertreffen“, wie er sagte. Doch Bundestrainer Werner Schuster gab Maximilian Mechler nach besseren Trainingsleistungen den Vorzug.

Das Glücksgefühl schlägt bei den Springern die Angst vor möglichen Verletzungen. „Da wird man so geil, dass man sich selbst übertrumpft“, sagt der zweimalige Skiflug-Weltmeister Sven Hannawald.

Hannawald fliegt schon lange nicht mehr, aber erinnert sich genau daran, wie es ist, seinen eigenen Körper zu überlisten. Sein früherer Kollege Schmitt sieht die Sache kritischer. „Der Mensch strebt immer nach mehr“, sagt er. „Irgendwann werden sie auch irgendwo 270 oder 300 Meter springen.“ Und immer mitspringen wird die Hoffnung, dass es schon irgendwie gut geht. Auf dem „Monsterbakken“ vielleicht noch ein bisschen mehr als anderswo. (mit dapd)

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