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Der Kalif fliegt. Kamil Stoch geht als Weltcup-Führender in die Vierschanzentournee, hier siegt er in Engelberg. Längst nennt ihn kein Stadionsprecher mehr „Kalif Storch“.

©  Imago

Skispringen - Vierschanzentournee: Polens Aufwind nach dem Rauswurf

Vor 15 Jahren war das Skispringen in Polen am Tiefpunkt – doch nun gelten Topspringer wie Kamil Stoch vor der Vierschanzentournee als Mitfavoriten auf den Gesamtsieg.

Walter Hofer erinnert sich noch sehr gut an das Jahr 1998, als das Skispringen in Polen am Tiefpunkt war. „Wir haben Zakopane aus dem Weltcup geschmissen“, sagt der Renndirektor des Weltskiverbandes Fis, „dort war alles veraltet und unglaublich schlecht organisiert.“ Die polnischen Veranstalter reagieren stinksauer und fuhren bis zum Fis-Kongress nach Australien, um sich zu beschweren. „Aber wir sind hart geblieben“, erinnert sich Hofer. Es hat sich gelohnt.

15 Jahre später sitzt Kamil Stoch aus Zakopane auf dem Podium im Kurhaus Oberstdorf. Der 26 Jahre alte Pole darf über seine Befindlichkeiten Auskunft geben. Denn Stoch ist Weltcup-Führender und damit einer der Favoriten auf den Sieg bei der am Sonntag beginnenden Vierschanzentournee (16.30 Uhr, live in der ARD). Vier polnische Springer befinden sich zurzeit im Gesamtweltcup unter den besten 15, so viele wie bei keiner anderen Nation. Im Kursaal scharen sich deshalb die Journalisten um den freundlichen polnischen Cheftrainer Lukasz Kruczek, der über die Gründe für die neuen polnischen Erfolge im Skispringen referiert.

Einer ist der Rauswurf von 1998, nach dem sie in Polen in die Infrastruktur wie die Schanze von Zakopane investierten. „Der andere ist der Erfolg von Adam Malysz“, sagt Kruczek, „durch ihn haben wir viele Kinder und Jugendliche im Skispringen.“ Tatsächlich hat Malysz einen wahren Skisprungboom in Polen ausgelöst. Der viermalige Weltmeister und Sieger der Vierschanzentournee 2001 fährt inzwischen nur noch Automobil-Rallyes, doch die aktuelle Skisprunggeneration in Polen profitiert weiter von seinen Leistungen.

Skispringen ist neben Fußball und Leichtathletik die wichtigste Sportart in Polen. „Die Kinder, die in Deutschland zum Fußball gehen und in Schweden zum Eishockey, gehen in Polen zum Skispringen“, sagt Bundestrainer Werner Schuster. Zum Weltcupspringen in Zakopane pilgern regelmäßig bis zu 100 000 Fans. Zuletzt sahen 7,8 Millionen der insgesamt 38,5 Millionen Einwohner Polens im Fernsehen den polnischen Doppelsieg durch Kamil Stoch und Jan Ziobro beim Weltcup in Engelberg. „Unsere Fans sind die lautesten an der Schanze“, schwärmt Kruczek, „die fahren sogar zu den Weltcupspringen in Japan mit.“

Der polnische Cheftrainer konnte abseits von Malysz eine neue Nachwuchstruppe aufbauen, die bei der WM 2013 in Val di Fiemme die ersten großen Erfolge feiern konnte, mit der Goldmedaille für Stoch auf der Großschanze und der Bronzemedaille der Mannschaft – ohne Malysz. „Wir sind seit zwei Jahren im Aufwind“, sagt Kruczek, „wir haben Wettkampf für Wettkampf mehr Selbstvertrauen bekommen.“ Das sei im Skispringen besonders wichtig, denn „im Kopf beginnt der Sieg“.

Besonders groß ist das Selbstbewusstsein bei Kamil Stoch, der zuletzt im Weltcup zweimal Erster und zweimal Zweiter wurde. Kaum vorstellbar, dass der Pole noch einmal vom Stadionsprecher versehentlich als „Kalif Storch“ vorgestellt wird – so geschehen vor Jahren in Klingenthal. „Es ist nett, dass ich bei der Vierschanzentournee Favorit sein soll, aber ich beschäftige mich nicht damit“, sagt der Mann aus Zakopane, „ich versuche ruhig und cool zu bleiben.“ Stoch ist ein „g’scheiter Bursch’“, wie nicht nur Walter Hofer findet. Über seine Stärken sagt sein Trainer Lukasz Kruczek: „Er kann auch verlieren und kann daraus viel lernen.“

Doch zuletzt gab es nicht mehr viel zu lernen für ihn. Das machen nun andere polnische Nachwuchstalente in den Skisprungzentren Zakopane, Wisla und Szczyrk, die in den jüngsten Boomjahren entstanden sind. Die Anlage in Szczyrk erinnert den Fis-Renndirektor sogar an das österreichische Skisportinternat Stams. „Die Polen haben dort vier Schanzen unterschiedlichen Niveaus, die Klubs und der Olympiastützpunkt liegen darum herum“, sagt Hofer, „wenn das Wetter gut ist, gehst du raus, machst deine fünf Sprünge, wenn es schlecht ist, gehst du wieder in die Schule.“

Nachdem Hofer 1998 den Standort Zakopane aus dem Weltcup geworfen hatte, fiel ihm bei einer seiner ersten Inspektionsreisen ein Foto in einem Café im Stadion von Zakopane auf. Darauf waren 100 000 Zuschauer zu sehen. „Da habe ich gemerkt, wie viel Potenzial in Polen steckt, es fehlte nur an einem nationalen Helden“, sagt Hofer. Dann kam Adam Malysz. Nun hofft Hofer auf ähnliche Ereignisse in Russland, Kasachstan, Georgien, oder auch Bulgarien. „Das sind keine exotischen Länder, sondern ehemalige Kernländer“, sagt der Chef der überschaubaren Skisprungwelt, „das ist eine riesiges Potenzial für so eine kleine Sportart.“

Über einen Rauswurf der Polen wird längst nicht mehr diskutiert, im Gegenteil. Inzwischen ist auch Wisla in den Weltcupkalender aufgenommen worden. „Mit einem vergrößerten Stressfaktor für alle Beteiligten“, sagt Hofer, „wir sind jetzt am Donnerstag in Wisla und Samstag und Sonntag in Zakopane.“ Zur Sicherheit hat er beim Athletensprecher nachgefragt, ob die Springer diesen Stress auch mitmachen wollen. Dieser hat Ja gesagt zu Wisla, was allerdings nicht überrascht. Der Athletensprecher stammt aus Polen und heißt Kamil Stoch.

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