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Höhenflieger. Severin Freund konnte in dieser Saison schon zwei Springen im Weltcup gewinnen.

© dpa

Skispringen: Wenn Säue fliegen

Die deutschen Skispringer sind so stark wie lange nicht in die Weltcup-Saison gestartet. Neben dem bereits etablierten Severin Freund macht besonders ein 17-jähriger Nachwuchsspringer auf sich aufmerksam.

Ein wenig fühlt sich Gregor Schlierenzauer an seine eigene Geschichte erinnert. Mit 16 Jahren war der Österreicher 2006 in den Weltcup gekommen und hat gleich mächtig für Furore gesorgt. Mittlerweile ist der 22-Jährige bestens etabliert und hat die ersten Sprünge von Andreas Wellinger verfolgt. Zunächst nur beiläufig. Nach zwei fünften Plätzen des 17-jährigen Deutschen sagt Schlierenzauer: „Ich schaue ihn mir genauer an.“

Aus gutem Grund. Gleich beim ersten Springen dieses Winters in Lillehammer lag der Ruhpoldinger nach dem ersten Durchgang in Führung. Damit beschloss er den Wettbewerb als letzter Springer. „Wenn er im zweiten Durchgang als Letzter oben sitzt, dann wird er schon was können“, hat Schlierenzauer sofort bemerkt. Am darauffolgenden Wochenende stand Wellinger in Kuusamo mit 143 Metern den weitesten Sprung der Konkurrenz im Teamwettbewerb. Entsprechend groß war die Begeisterung im deutschen Lager. „Er ist eine richtige Sau“, urteilte TV-Experte Dieter Thoma, „er zeigt keine Nerven. Er springt unten rein und setzt auch im hohen Weitenbereich einen tollen Telemark.“ Teamkollege Michael Neumayer verteilt ebenfalls ein großes Lob: „Allen so um die Ohren zu fliegen ist schon frech.“ Auch Bundestrainer Werner Schuster ist beeindruckt: „Diese Kaltschnäuzigkeit hat mich sehr gefreut.“ Auch unter Stress, so seine Beobachtung, sei sein Schützling noch handlungsfähig.

Dabei hatte Schuster einen Einsatz Wellingers im Weltcup zu Beginn dieses Winters noch gar nicht eingeplant. Die Junioren-Weltmeisterschaft im Januar in Liberec sollte sein Höhepunkt sein. Doch dann überzeugte er, ebenso wie der Oberstdorfer Karl Geiger, bei zwei Lehrgängen, bei denen das Weltcupteam und der Nachwuchskader zusammen trainierten. „Im Herbst haben Andreas und Karl ihre Qualitäten gezeigt und mich überzeugt“, erzählt Schuster, „deshalb habe ich gesagt: Die Jungs nehmen wir mit, die sollen lernen!“ Vor allem Wellinger hat schnell gelernt.

Eigentlich soll Wellinger nach Sotschi wieder die Schulbank drücken

Schusters Weltcup-Fahrplan für Wellinger umfasste die ersten drei Springen in Lillehammer, Kuusamo und Sotschi. Danach sollte für den Schüler vom Christophorus-Gymnasium in Berchtesgaden wieder Kopfarbeit anstehen. Doch nach dem tollen Einstand plant der Übungsleiter weiter mit seinem Shootingstar. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist“, sagt er. Wellinger ist es recht. Weitere Fehlzeiten könne er verkraften, sagt er selbstbewusst.

Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass Andreas Wellinger wegen seines Höhenfluges abhebt. Das große Interesse an ihm nimmt er gelassen zur Kenntnis. Vom Typus her ist er eher bodenständig. Noch im vergangenen Jahr war er bei den Kombinierern unterwegs. Auch wenn sich der Wechsel schon abgezeichnet hat: „Ich war schon immer besser im Springen.“ Sein Vorteil sind seine langen Oberschenkel. Über diesen Hebel kann er mit viel Schwung abspringen. „Und in der Luft hat er eine Leichtigkeit“, sagt Schuster.

Noch bis vor kurzem gehörte Andreas Wellinger bei den Skispringern zu den Autogrammjägern. Besonders stolz ist er auf eine Unterschrift von Severin Freund, seinem Vorbild. Freund führte nach zwei Siegen in dieser Saison und einem zweiten Platz am Samstag in Sotschi hinter Schlierenzauer sogar den Gesamt-Weltcup an. Abzusehen war dies nicht, denn der 24-jährige Springer aus Rastbüchl musste im Sommer wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert werden. Danach hat er ein gezieltes Aufbautraining gemacht. „Körperlich fühle ich mich besser als die Jahre davor“, sagt er. Schuster hat in einem anderen Bereich Veränderungen zum Vorjahr festgestellt: „Severin war ja schon sehr ausgereift in seiner Handlungsweise, nach seiner Rückenoperation hat er nochmal einen Schritt gemacht.“ Der Springer selbst führt seine Gelassenheit auf die gewachsene Erfahrung zurück. „Von Jahr zu Jahr wird es entspannter“, sagt der Bayer, „weil man alles schon mal erlebt hat.“ Auch Schuster ist sich sicher: „Severin kann, wenn er gesund bleibt, das Tempo an der Spitze mitbestimmen.“

Auch die größere Breite an der Spitze der deutschen Mannschaft gibt Freund Sicherheit. „Ganz klar ist es einfacher, dass ich nicht mehr der einzige im Team bin, der um den Sieg mitspringen kann“, sagt er und denkt dabei an Richard Freitag und Andreas Wank. Zusammen haben Freund und seine Kollegen den besten Saisonstart einer deutschen Mannschaft seit 1998 hingelegt, als Martin Schmitt zum Auftakt zweimal gewann. Der sagt jetzt: „Mannschaftlich waren wir ewig nicht so stark wie diese Saison.“ Für Bundestrainer Werner Schuster ist es eine Bestätigung seiner Arbeit. „Beim Umbau der Mannschaft haben wir den richtigen Weg eingeschlagen.“ Ähnliches hat der Österreicher vor vielen Jahren schon einmal miterlebt, als er mithalf das Team seines Heimatlandes in die Erfolgsspur zurückführen.

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