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© dpa

Sledgehockey: Eiskalte Kerle

Am 12. März starten die Paralympics in Kanada. Die deutsche Sledgehockeymannschaft erlebt die Spiele nur am Fernseher mit – sie hat die Qualifikation um eine Sekunde verpasst.

Am Ende gab sogar der Schiedsrichter seine Unparteilichkeit auf. „Ich seid verdammt gut, Jungs!“, sagte er nach dem Spiel zu den Sledgehockeyspielern in Schwarz-Rot-Gold. Geholfen hat das nicht wirklich. Bis exakt eine Sekunde vor Spielende hatte sich das deutsche Team in Unterzahl auf dem Eis bei der Paralympics-Qualifikation in Malmö gegen Schweden behauptet: 2:1. Und dann zirkelte der erfahrenste Kollege im schwedischen Sitzschlitten den Puck links oben in den Kasten. In der Verlängerung verloren die Deutschen das Spiel dann noch. Aus der Traum von den Spielen in Kanada – die Paralympics, die vom 12. bis 21. März in Whistler und Vancouver stattfinden, müssen die Deutschen vorm Fernseher verfolgen.

„Eine Sekunde hat die Arbeit von vier Jahren kaputt gemacht“, ärgert sich Gerd Bleidorn, Spieler und Manager der deutschen Sledgehockey-Nationalmannschaft. „Aber wir haben uns das selbst zuzuschreiben, dass wir das Ding im Dezember in Malmö vergurkt haben. Wir hätten die Niederlage taktisch verhindern können.“ Zudem hatte wohl der ein oder andere Spieler am Abend zuvor ein Bier zu viel genommen. Mannschaftskapitän Jörg Wedde winkt ab. „Vier Jahre Arbeit sind nicht an einem Glas Bier aufzuhängen. Wir waren im Kopf nicht mehr frisch und mit zu viel Adrenalin unterwegs.“

Die Spieler ärgern sich selbst am meistern. Denn die Eishockeynation Kanada wird bei den Olympischen Spielen der Leistungssportler mit Behinderungen wieder toben. Favoriten sind die USA, Kanada, Norwegen. Diese Nationen spielen auch so stark, weil anders als in Deutschland Sledge- und Eishockeyverband längst vereint sind. In Deutschland haben die Sitzschlittenspieler ihren Sponsor, eine große Hotelkette, gerade verloren.

Ein knappes Dutzend Spieler hat nach der Pech-Partie hingeschmissen, etliche waren ja immerhin Europameister 2005. Sie haben keine Lust mehr auf das Training neben dem Berufsleben, im Morgengrauen und bis Mitternacht, und die Familie zieht immer den Kürzeren. Das wurmt Manager Bleidorn, denn Nachwuchsförderung beim Sledgehockey ist ein hartes Geschäft. Er muss in Physiopraxen, an Behindertenschulen, in Eisstadien „jeden persönlich ansprechen und das Feeling vermitteln“. Was das ist? Spieler Wedde: „Am Sledgehockey liebe ich die Power. Und das Gefühl, übers Eis zu schweben.“ Sledgehockey sei ein anspruchsvoller Sport, aber „nicht jeder hat Bock darauf, sich in der Kälte warmzuspielen“, weiß Manager Bleidorn. Man wird aber schnell heiß darauf, auch als Zuschauer. Die Spieler wuseln herum wie Ameisen. Blitzschnell, wendig, mit viel Körpereinsatz. Das begeistert auch Bundespräsident Horst Köhler, der auf den Rängen in Turin 2006 angefeuert hat. Da hatte Deutschland im Spiel um Bronze knapp gegen die USA verloren.

Die Regeln unterscheiden sich nur wenig vom Eishockey

Schlittenhockey wurde einst erfunden, als versehrte Eishockeyspieler in den 1960er Jahren Spaß auf dem Eis haben wollten. 1994 wurde der Sport in Lillehammer paralympisch. Die Regeln unterscheiden sich wenig vom Eishockey der Steher. Gespielt wird drei Mal 15 Minuten, mit nicht mehr als sechs Spielern auf dem Eis. Die Schläger sind aber viel kürzer, weil sie als Stöcke zum Anschieben und als Schläger zugleich dienen.

Knochenkrebs, Motorradunfall, Autocrash, Brandopfer, jeder der Spieler hat so seine Geschichte. „Wenn Dir so etwas passiert, hast Du zwei Möglichkeiten“, sagt Torwart Marius „Hatti“ Hattendorf, „entweder Du hängst Dich auf, oder Du gibst Gas.“ Dann aber richtig, wie Kapitän Jörg Wedde. Der 44-jährige Medizintechniker hat im Alter von zwölf Jahren „die Quittung für allerlei vorangegangene Events bekommen“. Der Junge hatte wiederholt an Eisenbahnschienen gespielt, „und die Bahn war stärker“. Beide Beine mussten amputiert werden. Das hat Wedde nicht daran gehindert, eine damalige Dozentin für sich zu gewinnen. Tochter Lioba ist jetzt 14 – und der 21-jährige Sohn Leven hat auf seinem Mountainbike gegen den Papa im Handbike bei Touren durch Deutschland öfter das Nachsehen.

„Sotschi 2014 ist aber auch ein nettes Plätzchen“, sagt Wedde, der bei seinem Heimatverein SC Langenhagen bei den „Ice Lions“ jetzt für die Europameisterschaft 2011 trainiert. 2012 steht die WM an. Die meisten Schlitten sind immer noch Einzelstücke, aus Norwegen importiert, rund 1200 Euro teuer, in Heimbauweise veredelt. Jeder Schlitten muss jetzt vorne einen Aufprallschutz besitzen. Für Wedde bringt das nichts, er hat ja keine Füße mehr, er muss jetzt nur mehr Gewicht mit sich herumschleppen. Immerhin müssen die Spieler ihre Beine nicht mehr wie in Turin mit Tape am Schlitten festzurren, da gibt es inzwischen richtige Schnallen. In unteren Spielklassen dürfen auch Nichtbehinderte in den Schlitten. Viele Nationalteams haben Trainer aus dem Eishockey. In den USA und Kanada kämpfen jeweils gut 20 Teams auf dem Eis. In Deutschland gibt es sieben Teams, ein paralympisches Leistungszentrum. Und ein paar ziemlich frustrierte Jungs.

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