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Aufs Tischlein! Nicht nur wie hier bei der Snooker-WM in Sheffield zeigen die Akteure die richtigen Handgriffe.

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Faszination Snooker-WM: Grandioses Theater im Crucible

Eine Bühne, zwei Hauptdarsteller, abstrakte Bilder auf dem Tisch - und ein sich bis zum großen Finale steigerndes Drama: ein Essay über die Faszination Snooker.

Einen besseren Ort für diese Weltmeisterschaft kann es gar nicht geben. Snookerspieler sind Virtuosen mit dem Queue. Sie spielen mit dem Publikum, verzaubern es im Idealfall. Einige sind grandiose Selbstdarsteller. Für andere bleibt nur die Rolle des Statisten. Ihre Bühne ist das Crucible Theatre in Sheffield. Hier faszinieren sie alljährlich im Frühling mit ihrer Kunst. In ihren besten Momenten kommen Snookerspieler der Perfektion ganz nahe. Doch wird sie erreicht, bleibt keine Zeit zum Genießen. Denn das Theater von Sheffield ist im wahrsten Wortsinne ein Schmelztiegel. Emotionen kochen hoch, mühsam unterdrückt und doch für jedermann offensichtlich. Ein wahres Schauspiel.

Die Darsteller der Snooker-WM in Sheffield wirken auf den ersten Blick nicht wie Sportler. Sie tragen Weste und Fliege, Buntfaltenhose und blitzblank geputzte Schuhe. Die Frisuren sitzen stets akkurat, Schweiß fließt keiner. Und die Bewegungen am Spieltisch sind immer von Zurückhaltung geprägt. Nur der Blick in die Gesichter verrät die Anspannung während der Inszenierung. Denn das Skript besagt nun einmal, dass immer nur ein Spieler in Aktion treten kann. Der Gegner ist zum Zuschauen verurteilt – und offenbart dabei ein Bild des Leidens. Gefangen sitzt er in seinem Sessel und hofft auf Erlösung. Doch den Lauf der Kugeln kann er in diesem Moment nicht beeinflussen.

Wenn's kritisch wird, muss improvisiert werden

Der Spieler am Tisch hingegen arbeitet mit höchstmöglicher Präzision die ihm gestellte Aufgabe ab. Auf eine rote Kugel folgt ein farbige. So lange wie es nur irgendwie geht. Das Publikum beklatscht besonders gelungene Stöße, raunt zuweilen, wenn die Lage auf dem grünen Tuch ausweglos erscheint. Es sind Augenblicke, in denen das Spiel aus der ihm eigenen Stille gerissen wird. Wie Schach erfordert Snooker Konzentration und Vorstellungsvermögen. Alle möglichen Stoßvarianten wollen wohl durchdacht sein. Jeder Fehler kann entscheidend sein.

Wie ein Akteur auf der Bühne muss der Spieler bestimmte Abläufe praktisch im Schlaf beherrschen. Er muss aber auch improvisieren können, wenn es kritisch zu werden droht. Denn ein Snookerspiel besteht aus mehreren Akten, bei einer WM geht ein Duell nicht über Stunden, sondern Tage. In seinen besten Momenten bietet Snooker grandioses Theater. Aufregend, aber nicht aufdringlich. Mitreißend, aber nie hektisch. Das Spiel ist wunderbar unzeitgemäß. Geschmeidige Gründlichkeit schlägt fieberhafte Betriebsamkeit.

Schwer vorhersehbares Geduldsspiel

Und es begeistert mit erstaunlichem Variantenreichtum. Im Idealfall läuft es so: Rot. Farbe. Rot. Farbe. Und immer so weiter. Das Versenken der Kugeln ist dabei nicht einmal das größte Problem. Die Stellung zu halten, um einen möglichst leichten nächsten Stoß ausführen zu können, ist die Herausforderung. Gelingt das nicht, soll es der Gegner möglichst schwer haben. Snooker wird die Balllage genannt, die es unmöglich macht, die anzuspielende Kugel auf direktem Wege zu erreichen. Alle Kugeln nacheinander abzuräumen, ist spektakulär mitanzusehen. Zu erleben, wie sich eine Kugel über mehrere Banden kunstvoll ihren Weg hinter eine andere bahnt, ist mindestens genauso mitreißend.

Zuweilen führt das sogenannte Safety-Spiel zu abstrakten Bildern auf dem Tisch. Dann entwickelt sich oft ein Geduldsspiel, das nur schwer vorhersehbar ist. Am Ende aber hat doch wieder einer der Akteure einen Plan. Auf der Bühne im Crucible Theatre beginnt am Sonntag das große Finale. Zwei Solisten aus dem ehemals 32 Spieler umfassenden Ensemble sind übrig geblieben. Übrig geblieben für das letzte große Drama. Und das längste. Rund acht Stunden reine Spielzeit dürften bis Montagabend vergangen sein, ehe der neue Weltmeister den Pokal hochhalten und ein Preisgeld von 300 000 Pfund einstreichen kann. Dann löst sich die Spannung bei den Hauptdarstellern. Spieler und Publikum werden eins, der letzte Vorhang fällt. Bis zur nächsten Aufführung auf der großen Snooker-Bühne von Sheffield.

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