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Sport: So ratlos

Hertha BSC wollte diesmal alles richtig machen und führte 1:0 gegen die Bayern – am Ende stand es 3:6

Berlin . In der 24. Spielminute verliert Huub Stevens die Kontrolle. Herthas Trainer tobt. Als Thorben Marx einen Einwurf ausführen will, wirft ihm Stevens den Ball, der ihm eben vor die Füße gefallen war, mitten ins Gesicht. Eine Absicht darf dem fast 50-jährigen Übungsleiter nicht unterstellt werden. Aber unglücklich wirkt seine Aktion schon auf die 59 000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion. Vor allem aber ist sie symbolisch. Bei Hertha geht an diesem Samstagnachmittag so ziemlich alles daneben.

Dieser 24. Minute sind fünf Minuten vorausgegangen, in denen sich etwas abgespielt hat, von dem Manager Dieter Hoeneß später sagen wird: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Herthas Mannschaft fällt auseinander.

19. Minute: Münchens Sagnol bringt einen Freistoß in Herthas Strafraum, Stürmer Elber steigt hoch, Abwehrspieler Rehmer schaut zu, Torwart Kiraly steht zu weit vor seinem Tor. 1:1.

22. Minute: Herthas Hartmann köpft einen Ball aus dem eigenen Strafraum, der Ball kommt zu Deisler, der flankt auf Pizarro, diesmal passt Simunic nicht auf. 1:2.

23. Minute: Herthas Goor verliert einen Zweikampf im Mittelfeld, Pizarro spielt auf Deisler, der sofort wieder zurück, Rehmer guckt zu, Pizarro schießt. 1:3.

Nach dem Spiel, das Hertha gegen Bayern München mit 3:6 (1:5) verlor, erzählt Stevens etwas von „katastrophalen Fehlern“ und dass er im Interesse der Mannschaft noch vor der Pause Luizao und Marko Rehmer vom Feld nahm. Herthas Stürmer kriegte keinen Ball, Herthas Verteidiger (Hoeneß: „Bei ihm mache ich mir so meine Gedanken“) kriegte keinen Gegenspieler in den Griff.

Bis zur Halbzeitpause hatten die Herren Elber, Pizarro und Ballack ein halbes Dutzend Tore geschossen – wobei Ballack ins falsche Tor getroffen und so die kurzfristige Führung für die Berliner erzielt hatte. Herthas Kotrainer Holger Gehrke schüttelte nach dem halben Spiel den Kopf und sagte: „Jeder Schuss ein Treffer – das ist wie auf dem Rummel. Unfassbar.“

Zu diesem Zeitpunkt müssen die Bayern sich ein wenig so vorgekommen sein, wie Anfang der Woche in einem Testspielchen gegen eine Kreisauswahl der Oberpfalz. 15:1 gewannen die Profis in Weiden. Nach einer Viertelstunde ruckte der Meister eben mal an – und das Spiel war entschieden. Die Bayern demonstrierten, wie einfach und doch wie schön Fußball sein kann. Hertha wirkte verbissen, wollte „zu schnell das 2:0 machen“ (Hoeneß) und versank im Chaos. Die Bayern spielten unaufgeregt und locker. Mitunter war es frappierend, wie aufreizend lässig die Bayern eine Halbzeit lang die Berliner vorführten. „Ein 1:5 nach 45 Minuten und einer 1:0-Führung kann man nicht erklären“, sagte Dieter Hoeneß. „Wenn man so auseinander genommen wird, stimmt wenig.“

Galten die Pfiffe zu Spielbeginn noch Sebastian Deisler, der vor einem Jahr Hertha verlassen hatte und erstmals für die Bayern ein Spiel von Beginn an bestritt, so wurde nur noch die eigene Mannschaft ausgepfiffen. Als der 23-jährige Deisler mittendrin einen Ball aufs Lattenkreuz setzte, applaudierte das Berliner Publikum sogar dem verlorenen Star. Aus Respekt vor seiner Leistung – und vor der Leistung seines Teams gegen eine völlig demoralisierte Hertha. „Meine Mannschaft hatte plötzlich Spielfreude entwickelt“, sagte Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld. In der zweiten Halbzeit sei es nur noch darum gegangen, das Resultat zu halten. „Das war keine so schwierige Aufgabe.“ Ballack traf noch einmal auf der richtigen Seite, Marcelinho verwandelte für Hertha einen Elfmeter und überlistete kurz vor Schluss noch einmal Oliver Kahn. Mehr als Schadensbegrenzung war es nicht.

Es war ein denkwürdiger Nachmittag. Hertha wollte einen Schritt in Richtung Champions League zurücklegen. Hoeneß hatte unter der Woche 50000 Euro Prämie für diesen Fall jedem seiner Spieler in Aussicht gestellt. Über eine Prämie für das Erreichen eines Uefa-Cup-Platzes ist noch nicht entschieden. Was verständlich ist, da Hertha nicht mal mehr sicher sein kann, das Minimalziel zu erreichen. Hamburg verdrängte Hertha auf Platz fünf. Bremen drückt von unten, und Schalke kann heute ebenfalls rankommen.

In den letzten beiden Spielen gegen Bremen und München hat Hertha zehn Tore kassiert und überwunden geglaubte Schwächen offenbart. Hertha muss nach Wolfsburg, dann kommt Kaiserslautern. „Wir müssen das Spiel schnell vergessen“, sagte Stevens. Und wieder die Kontrolle gewinnen.

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