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Sport: Sogar die Konkurrenz klatscht mit

Schweden feiert seine Leichtathleten, auch wenn nicht alle die hohen Erwartungen erfüllen können

Lärm kann sehr beruhigend sein, das hat Susanna Kallur gemerkt, als sie hineinkam ins Ullevi-Stadion von Göteborg. Es war wie ein warmer, lauter Wind, der ihr von den Tribünen entgegenwehte und die Richtung schien sie selbst so beeinflussen zu können, dass er ihr genau im Rücken stand. „Ich war auf einmal nicht mehr nervös“, erzählt sie. Kurze Zeit später war die 25 Jahre alte Schwedin Europameisterin über 100 Meter Hürden.

Die Schweden feiern in Göteborg gerade ihre Leichtathleten, und Kallurs Sieg war der zweite große Festakt in dieser Woche. Die erste Goldmedaille hatte Carolina Klüft im Siebenkampf gewonnen. Seit Samstag haben die Schweden sogar drei Europameister, denn Christian Olsson gewann den Dreisprung. In einem Cabriolet werden die schwedischen Europameister jeweils am Tag nach ihrem Sieg durch die Straßen bis zum Rathaus von Göteborg gefahren. Die Europameisterschaften im eigenen Land sollen der festliche Höhepunkt sein in der Karriere einer „goldenen Generation“ von schwedischen Leichtathleten.

Diese Erfolgsgeschichte hat im Grunde zwei Ausgangspunkte. Der erste liegt tief in den Achtzigerjahren und hat mit dem Hochspringer Patrick Sjöberg zu tun. Er stellte mit 2,42 Metern einen neuen Weltrekord auf und wurde Weltmeister. Die schwedische Leichtathletik hatte einen neuen Helden. Auch Stefan Holm sah seine Erfolge am Fernseher und wollte Hochspringer werden. Zu Hause hüpfte er so lange über das Sofa, bis ihm sein Vater eine Anlage in den Garten baute. Aus Stefan Holm wurde schließlich 2004 in Athen ein Olympiasieger.

Der andere Ausgangspunkt liegt elf Jahre zurück. 1995 fanden in Göteborg die Weltmeisterschaften statt. Wieder sahen viele Jugendliche zu, vor dem Fernseher, aber auch im Stadion – wie etwa Christian Olsson. Er hat gesehen, wie der britische Dreispringer Jonathan Edwards den Titel gewann und dabei gleich zweimal den Weltrekord verbesserte. „Damals habe ich mich für Jonathan gefreut, weil ich noch Hochspringer war. Wenn ich gewusst hätte, dass ich selbst einmal gegen diesen Weltrekord springen würde, hätte ich mich sicher nicht gefreut“, sagt Olsson und lacht. Auch er ist in Athen Olympiasieger geworden. Sein Europameistertitel im eigenen Land bedeute ihm jedoch mehr. „Es ist einmalig für einen Athleten, vor den eigenen Freunden und der Familie in der Heimat aufzutreten.“

Manchen schwedischen Athleten ist dies sogar ein bisschen zu viel geworden. Olympiasieger Holm und Weltmeisterin Kajsa Bergqvist wollten beide Gold im Hochsprung und gewannen am Ende Bronze. Auch die Konkurrenz spürt, dass diese Meisterschaften etwas ganz besonderes sind. Die Hochsprung-Siegerin Tia Hellebaut aus Belgien klatschte rhythmisch mit, als Bergqvist Anlauf nahm, und der neue Europameister Andrej Silnow aus Russland konnte es fast nicht glauben, dass das Publikum auch ihn als härtesten Konkurrenten von Stefan Holm anfeuerte.

Der schwedische Cheftrainer Thomas Engdahl wird in diesen Tagen oft nach dem schwedischen Modell gefragt. Wie konnten es die Schweden nur schaffen, mit gerade einmal zwölf Athleten zu den Olympischen Spielen nach Athen zu reisen und mit drei Goldmedaillen zurückzukehren? Und wieso sind sie auch jetzt so gut?

Engdahl antwortet darauf zunächst mit Sjöberg und der Weltmeisterschaft 1995, um dann noch einige andere Gründe zu nennen. „Wir haben einfach ein gutes Klima in unserem Verband. Wir kooperieren sehr gut untereinander“, sagt er. Die Trainer arbeiteten hervorragend und kennten sich auch mit der mentalen Stärkung von Athleten bestens aus. Spaß sei wichtig und ebenso eine vielseitige sportliche Ausbildung der Athleten. Ein weiterer Grund seien die Leichtathletik-Hallen. „Vor zwanzig Jahren haben wir noch eine Halle gehabt, und Christian Olsson musste im Winter im Schnee trainieren. Jetzt haben wir 25 bis 30.“

Doch ein Merkmal des schwedischen Modells ist wohl auch, dass es gar kein Modell gibt. Die besten Athleten haben alle ihren eigenen Weg zum Erfolg gefunden. Klüft blieb in Schweden, Bergqvist und Olsson leben und trainieren in Monaco, Susanna Kallur und ihre Zwillingsschwester Jenny durchliefen das amerikanische Collegesystem. Kein Zentralismus, viel Individualismus, wenig Druck, das sind die Merkmale der schwedischen Leichtathletik.

Engdahl ist sich bewusst, dass es eine Generation wie die jetzige nicht so leicht noch einmal geben wird. „Wir haben nicht so viele Talente, also müssen wir uns um jedes einzelne besonders kümmern“, sagt der Cheftrainer. Vielleicht gewinne die Mannschaft schon bei den nächsten Europameisterschaften 2010 gar keine Medaille mehr. „Aber das glaube ich nicht. Erfolg bringt immer neuen Erfolg hervor.“ Patrick Sjöberg hat nun sogar viele Namen, er heißt jetzt etwa Stefan Holm, Susanna Kallur, Carolina Klüft oder Christian Olsson.

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