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Sport: Sogar Fremde sagen danke

Potsdams Torhüterin genießt Uefa-Cup-Finale

Ob die Priesterin, die Steinmetzin und die Fotografin heute wieder ein Buch ins Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion mitbringen, weiß Nadine Angerer nicht. Viel Ruhe werden ihre Freundinnen jedenfalls nicht haben, um sich während des Finalrückspiels im Uefa-Cup zwischen Turbine Potsdam und Djurgarden/Älvsjö aus Stockholm (13 Uhr, live im RBB) ihrer Lektüre zu widmen. Schließlich werden an die 8000 lärmende Fans erwartet, die mit ihrer Mannschaft nach dem 2:0-Hinspielsieg den größten Triumph der Vereinsgeschichte feiern wollen. Die Priesterin, die Steinmetzin und die Fotografin kommen wie die 26-jährige Nadine Angerer aus München, leben wie diese in Prenzlauer Berg – und haben keine Ahnung von Fußball. Über Fragen wie „Fliegt ihr zum Uefa-Cup nach Stockholm mit der Nationalmannschaft?“, hat sich Angerer deshalb auch nicht gewundert.

Die Freundinnen kaufen sich im Stadion ein Bier, freuen sich über Turbines Siege und beschäftigen sich während des Spiels manchmal eben mit anderen, aus ihrer Sicht wesentlicheren Dingen. Dabei dürfte es heute durchaus lohnenswert sein, Nadine Angerer zu beobachten. Im Hinspiel hat sie ihrem Team mit einer Weltklasseleistung den Sieg gesichert und dreimal geklärt, als die schwedische Nationalspielerin Kristin Bengtsson alleine vor ihr aufgetaucht war. Heute werden die Stockholmerinnen ihre am Sonntag fehlende Leistungsträgerin Victoria Svensson wieder dabei haben, „da wird ein anderer Wind wehen, die werden um ihr Leben rennen“, sagt Angerer.

In den Tagen nach dem Final-Hinspiel haben Unbekannte gehupt und ihr ein „Danke“ zugerufen, wenn sie mit dem Turbine-Auto an einer Ampel stand, nicht nur in Potsdam, auch in Berlin. Fremde wissen ihre sportliche Leistung zu schätzen, sie selbst schätzt ihre dem Fußball so fernen Freundinnen als Ausgleich zum Sport, gerade nach einer so „turbostressigen Woche“. Am Dienstag saß sie bei der 3:4-Heimniederlage im Bundesligaspiel gegen den FC Bayern, ihrem früheren Verein, zwar zur Erholung auf der Bank – doch nachts musste sie lernen. Am Donnerstag hatte sie an der Potsdamer Schule für Physiotherapie Zwischenprüfung und musste „ein Schultergelenk mobilisieren“. Note zwei, nun zählt nur noch der Uefa-Cup.

Angerer hat in dieser Saison, in der Potsdam den deutschen Meistertitel wieder an Frankfurt verloren hat, nicht so stark gespielt wie in der vergangenen Spielzeit. „Ich war nicht so souverän, und habe nicht so viele Unhaltbare rausgeholt“, sagt sie selbst. Auf zehn Prozent schätzt sie ihre Chancen, bei der EM im Juni in England an Stelle von Stammtorhüterin Silke Rottenberg im Tor zu stehen. Angerer, die 36-fache Nationalspielerin hat an zwei Welt-, zwei Europameisterschaften und zwei Olympischen Spielen teilgenommen, den WM- und den EM-Titel gewonnen – doch im Tor gestanden hat sie bei diesen Turnieren keine einzige Minute. „Bis zur WM 2007 will ich Silke verdrängt haben“, sagt Angerer, die dabei auch auf die jetzige Kotrainerin Silvia Neid hofft, die nach der EM Theune-Meyer ablöst. Dieser kann Nadine Angerer schon heute beweisen, dass sie nicht schlechter ist als Silke Rottenberg. Tina Theune-Meyer wird heute im Stadion sein – und im Gegensatz zur Priesterin, Steinmetzin und Fotografin 90 Minuten lang aufs Spielfeld schauen.

Helen Ruwald[Potsdam]

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