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Auch ohne die Dating-App Tinder kann man Singles kennenlernen.

© picture-alliance/dpa

So läuft es: Warum Laufen besser ist als Tinder

Ein guter Freund unseres Kolumnisten ist ein Tinder-Opfer geworden. Dabei gibt es für Singles auch eine vielversprechende Old-School-Variante.

Ich war neulich mit einem Freund auf einer recht großen Party. Um uns herum extrem viel Flirtpotenzial, extrem viele doch sehr attraktive Frauen. Er ist ein Typ, den sich ungefähr 90 Prozent aller meiner weiblichen Single-Frauen wünschen. Kantig, sportlich, intelligent, guter Style, ein Mix aus coolem Hund und Frauenversteher, erfolgreich im Job, und er sieht dazu auch noch verdammt gut aus. Das muss ich selbst als Mann neidlos anerkennen. Immer und immer wieder tippte er auf seinem Handy rum. Und murmelte dabei Dinge wie: „Nee, ich will nicht zu Whatsapp wechseln. Nein. Ja. Nein … die Nächste bitte … Oh Gott … geil.“

Mein Freund ist ein Tinder-Opfer geworden. Er denkt nur links und rechts. Die blonde, unfassbar schöne Frau direkt neben ihm, die ihn ständig anlächelte, hat er gar nicht gesehen. Vor der Veranstaltung waren wir noch zusammen 20 Kilometer laufen, obwohl er eigentlich eher Rad oder Ski fährt. Und es gab kaum eine Frau, die uns entgegenkam, die nicht weiche Knie hatte, als sie ihn sah. Nicht nur dass mich dieser Tinder-Boom nervt, ich verstehe ihn einfach nicht. „Ich mache Sport Mike, ich arbeite, ich esse, ich kümmere mich um meine Kinder, wenn sie da sind, dann schlafe ich. Wann soll ich ’ne gescheite Frau kennenlernen?“ Klare Jacke auf meine klare Frage: „Warum denn DU ausgerechnet Tinder, Mann?“

So wie ihm geht es Tausenden von Singles in ganz Deutschland. Das ist unsere Welt, das ist der Zeitgeist. Gesund ist das alles nicht, wenn ich all den wirren Online-Dating-Geschichten vieler Frauen und Männer um mich herum Glauben schenken darf. Selbst Facebook verkommt mehr und mehr zur Abschlepp-Maschine. Eine Schnittmenge haben viele Singles jedoch oft: Sie haben wenig Zeit, aber sie laufen trotzdem. Warum – so fragte ich meinen Freund – nicht einfach mal was völlig Verrücktes tun? Warum nicht mal Oldschool sein? In der realen Welt und nicht digital Menschen kennenlernen?

In jeder Stadt, in jedem noch so kleinen Ort kommt eine Laufkultur gerade zurück, die sehr Achtziger ist. Der gute alte „Lauftreff“ erfährt durch ein Facelift eine Renaissance. Das Prinzip ist wie damals. Nur wirkt alles etwas cooler und hipper. Die Tide Runners in Hamburg zum Beispiel. Ein wilder Haufen von 40 bis 80 Leuten, die sich jeden Mittwoch treffen, um sich die „Stadt zu erlaufen“, wie sie sagen. Jeder Laufladen hat mindestens einmal die Woche seinen eigenen Lauftreff. In der Facebook-Gruppe „Laufen in Berlin“ verabreden sich Menschen, man will es kaum glauben, zum Laufen. Ganz in echt.

Ich erzähle meinem gut aussehenden Freund von Bille und Andreas. Sie haben sich 2012 in einer Laufgruppe kennengelernt. Kurze Zeit später sind sie den Hamburg-Marathon gemeinsam gelaufen. Der Marathon war Nebensache, sie redeten die ganzen 42 Kilometer. Die Zeit war ihnen völlig egal. Sie laufen noch immer. Heute als verheiratetes Paar. Und es gibt viele solcher wunderbaren Geschichten. „Ich kann aber nicht laufen, Mike. Ich habs ned so damit“, sagte mir mein guter Freund. „Dann tinder halt weiter, Mann. Ich geh jetzt laufen“, sagte ich am Ende des Abends. Am Ende mit meinem Rettungsversuch. So läuft es. Eben auch manchmal. Leider.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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