zum Hauptinhalt

Sport: Sonne, Stolz und Sterne

Olympiagold 1924 und 1928, Weltmeister 1930 und 1950: Uruguays grandiose Fußballvergangenheit ist lange her. Aber vor dem Halbfinale gegen Holland hofft das kleine Land wieder auf einen großen Erfolg

Ihre Trikots sind so blau wie der Himmel über Kapstadt, und es sind so viele, dass Uruguay eigentlich leer sein müsste in diesen WM-Tagen. Geschätzt dreieinhalb Millionen Einwohner gibt es, und nach der gefühlten Statistik ist Kapstadt zurzeit hinter Montevideo die zweitgrößte uruguayische Stadt, mindestens. Die treusten Fans ziehen mit einem Transparent durch Südafrika, sie hängen es überall dort auf, wo die Nationalmannschaft logiert. Es zeigt die blau-weiße Fahne mit der lachenden Sonne und fünf Sternen, jeder steht für einen WM-Titel. Zwei für die Triumphe 1950 in Rio und 1930 in Montevideo, noch mal zwei für die Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris und 1928 in Amsterdam, die damals den Status der erst 1930 eingeführten WM-Turniere hatten.

Der fünfte und letzte Stern ist für 2010 reserviert.

Das entspricht dem gewachsenen Selbstwertgefühl der selección uruguaya vor dem Halbfinale am Dienstag in Kapstadt gegen die Niederlande. Uruguay, das kleine Land mit der großen Fußballvergangenheit, das so ein bisschen an die einstige europäische Fußballmacht Ungarn erinnert, wähnt sich nun in einer Epoche, die längst vorbei schien. Der Gang ins Archiv der Weltmeisterschaften ist lang, man muss in die Geschichtsbücher schauen und sich vor Augen halten, wo Deutschland damals stand im Sport: Als die hellblauen Helden, die besten Fußballer der zwanziger Jahre, 1930 den Pokal bei der allerersten Weltmeisterschaft – ja, in Uruguay – gewannen nach einem Sieg gegen das große Argentinien, feierte eine Stadt wie Berlin den neuen Deutschen Meister Hertha BSC. Und als Uruguay 1950 das zweite Mal den WM-Pokal holte – schon wieder gegen einen Nachbarn, Brasilien –, da durfte das zutiefst verunsicherte Deutschland das erste Mal nach dem Krieg wieder ein Fußballspiel mit einer Nationalmannschaft austragen. Gegen die Schweiz, ein bescheiden-freundliches 1:0.

In Südafrika 2010 ist allein Uruguay übrig geblieben von der zwischenzeitlichen Renaissance des südamerikanischen Fußballs, in deren Folge neben Uruguay noch Chile, Argentinien, Paraguay und Brasilien das Achtelfinale erreicht hatten. Im Halbfinale steht nun eine Mannschaft, deren Stil am allerwenigsten mit dem zu tun hat, was man sich unter südamerikanischem Fußball vorstellt. Uruguay verzichtet fast völlig auf jedes Mittelfeldspiel, intensiviert dafür die Abwehrarbeit und verlässt sich vorn auf Forlán und Suarez, der im Halbfinale allerdings fehlt wegen seines spektakulären Handspiels, das Ghana den Siegtreffer verwehrte und ihm selbst die Rote Karte einbrachte.

Das Spiel dieser Mannschaft weckt schwerlich Erinnerungen an eine Zeit, in der Uruguay einmal den Weltfußball revolutioniert hatte. An die 1924 in Paris vorgestellte Erfindung des Doppelpasses, an die Kombinationen über mehr als drei Stationen, an die zauberhaften Dribblings des Dandys José Leandro Andrade, der während der Olympischen Spiele von Paris nebenbei als Tänzer und Sänger auftrat, seine Band hieß „Die armen kubanischen Neger“. Der französische Schriftsteller Henri de Montherlant schwärmte von einer Offenbarung: „Dies hier ist der eigentliche, der wirkliche Fußball. Das, was wir bisher kannten, was wir spielten, war, verglichen mit diesem hier, nicht mehr als ein Zeitvertreib von Schuljungen.“

20 Jahre lang waren die Uruguayer bei Weltmeisterschaften ungeschlagen. Diese einmalige Bilanz verdanken sie ihrer Weigerung, zu den Turnieren 1934 nach Italien und 1938 nach Frankreich zu reisen, immer noch beleidigt darüber, dass zur WM-Premiere 1930 nur vier europäische Mannschaften nach Montevideo gereist waren. Als sie 1950 wieder mitmachten, gab es im entscheidenden Spiel vor 200 000 Zuschauern ein 2:1 über Gastgeber Brasilien. Alcides Ghiggia, Schütze des Siegtreffers, verewigte sich mit dem schönen Satz: „Ich bin neben dem Papst und Frank Sinatra der einzige Mensch, der das Maracana-Stadion zum Schweigen gebracht hat.“

Ghiggia ist jetzt 84 Jahre alt und ein gefragter Gesprächspartner, gerade in diesen Tagen, da Uruguay die Welt wieder aufhorchen lässt. Auf Einladung der Fifa ist er nach Südafrika gereist und posierte für ein Foto mit der aktuellen Nationalelf seines Landes. „Diese Mannschaft kann noch weit kommen“, hat Ghiggia nach dem Fototermin gesagt. „Für keine Mannschaft wird es leicht werden, Uruguay zu schlagen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false