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Sotschi 2014: Olympia in der Sowjetunion

Sotschi träumt 2014 von einem Wintermärchen am Schwarzen Meer. Doch Oligarchen haben die Claims längst abgesteckt. Ein Besuch.

Die Luft steht, es riecht nach Sonnenöl und Schweiß. Menschlichem und tierischem. Besitzerinnen angeketteter Braunbären oder Papageien lauern auf Kundschaft für Erinnerungsfotos. Neben ihnen warten Afrikanerinnen, die Massagen und Rasta-Frisuren anbieten. Die Sonne versinkt im Schwarzen Meer. Möwen kreischen, Palmen wehen. Am Strand liegen Melonenschalen und angekohlte Hammelrippchen.

Seit das Internationale Olympische Komitee sich im Juli für Sotschi als Austragungsort der Winterspiele 2014 entschieden hat, heißt der russische Teil der kaukasischen Schwarzmeerküste offiziell „Riviera“. Für etwas mediterranes Flair sorgen momentan neben verstaubten Agaven und ein paar Villen aus der Zarenzeit vor allem die sonst in Russland seltenen Vespas. Alles andere ist ur-russisch, besser gesagt, sowjetisch: das Essen, die Hotels, der Service, die Strände.

Platz ist rar auf dem schmalen Streifen Kieselstrand. Kaum einer, der sich traut, sein Badehandtuch für den ursprünglichen Zweck zu benutzen: zum Abtrocknen. Ist das Handtuch weg, ist auch der Liegeplatz weg. Wer noch nicht urlaubsreif ist nach der oft mehrtägigen Fahrt in nicht klimatisierten Zügen, deren Fenster sich nicht öffnen lassen, wird es hier.

„Das kriegen wir noch in den Griff“, sagt Sergej Suchanow, die Nummer zwei der „Direktion für die Entwicklung von Sotschi“. Die Staatsholding ist Generalauftraggeber für die Umsetzung des Zielprogramms „Olympia“, das Präsident Wladimir Putin zur Chefsache erklärt hat. Bis Jahresende sollen alle Projekte vergeben werden. Das Telefon auf Suchanows Schreibtisch und seine beiden Handys klingeln schon jetzt ununterbrochen.

Die Organisatoren träumen von einem „Wintermärchen in Sotschi“. Doch derzeit streiten Lobbyisten um Hymne und Maskottchen. Und darüber, welcher Hersteller Staatsholding und Organisationskomitee mit geländegängigen Fahrzeugen beliefern soll. Die meisten der 20 Wettkampfstätten – bisher bestenfalls als Computer-Animation zu sehen – sind bis auf Weiteres nur mit Jeep zu erreichen.

Nicht Hänge und Pisten seien die Herausforderung für Sotschi, sondern die marode Infrastruktur, meint Wirtschaftsprofessor Alexej Skopin. Das Ausmaß der Probleme springt Besucher an, bevor sie sein Büro betreten: „Hoch verehrte Mieter“, steht auf einem Aushang neben dem Aufzug, „in Verbindung mit Abschaltungen wird das Notstromaggregat in Betrieb genommen. Wir ersuchen Sie dringend, auf die Benutzung von Wasserkochern und Ventilatoren zu verzichten.“

Dass Sotschi dennoch den Zuschlag bekam, erklärt der Professor mit dem Kostenvoranschlag, der dem IOC offenbar imponierte: umgerechnet zwölf Milliarden Dollar und damit erheblich mehr, als die Konkurrenz zahlen wollte oder konnte. Putin selbst gab die Richtung vor: Fast sieben Milliarden Dollar sollen aus dem Staatshaushalt kommen. Auch private Investoren sollen groß einsteigen. Statt britische Fußballklubs zu päppeln, hatte Putin die Oligarchen bei diversen Jahresbotschaften angezählt, sollten sie besser Mütterchen Heimat zu international konkurrenzfähigen Arenen verhelfen.

Russlands Goldene Horde ließ sich nicht lange bitten. Schon bei der Jubelfeier auf dem Theaterplatz in der Nacht zum 5. Juli flimmerten auf der Großleinwand alternierend Bilder von der IOC-Tagung und die Gesichter hiesiger Multimilliardäre nebst Logo ihrer Imperien. Die Claims sind abgesteckt: In den Bergen führt Wladimir Potanin das Kommando, der Chef des Gemischtwarenladens Interross, zu dem mit Norilsk Nickel der weltweit größte Metallproduzent gehört. In den küstennahen Niederungen hat sich Erzrivale Oleg Deripaska durchgesetzt.

Beide werden vor allem die Wettkampfstätten, das Olympische Dorf und die Infrastruktur bauen: Nachtklubs, Nobelrestaurants und Luxuswohnungen, die schon jetzt zu Mondpreisen wie in Moskau über den Tisch gehen: für 7000 bis 10 000 US-Dollar. Pro Quadratmeter. Die Investitionen, freut sich Potanin-Vormann Dmitrij Satschin, würden bereits sieben Jahre nach der Inbetriebnahme „zweistellige Renditen bringen“.

Die Entwürfe haben eine wahrhaft olympische Dimension. So soll eine mehrspurige Autobahn mit zweigeschossigen Abfahrten und mehrere Kilometer langen Tunneln vom Stadtzentrum nach Krasnaja Poljana führen, wo die Bob- und Schlittenwettkämpfe ausgetragen werden. Dazu kommen 62 Kilometer U- Bahn, die allerdings meist über der Erde fährt und den Flughafen Adler mit dem Olympischen Dorf sowie den Pisten, Schanzen und Eishallen verbinden soll.

Was indes Einwohner und Urlauber sich am sehnlichsten wünschen – die Verlegung der Bahnlinie, die direkt am Strand entlangführt – sei nicht vorgesehen, schimpfen die Leute. Auch sonst liegt vieles noch im Argen. Die Straße nach Rosa Chutor, wo die Wettkämpfe der alpinen Ski-Disziplinen ausgetragen werden, ist eine Schotterpiste. Auch das Olympische Dorf wirkt wie ein hoffnungsloser Fall. Nicht einmal die Baustelle ist auf Anhieb zu finden. Sie liegt direkt am Meer, 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, wo der künftige Olympia-Park entstehen soll – mit vier Bettenburgen für die Aktiven, die später Hotels werden sollen.

Bis Anfang Juli Rastplatz für Zugvögel und das letzte intakte Feuchtgebiet an der kaukasischen Schwarzmeerküste ist die sogenannte Imeretische Niederung inzwischen Herrschaftsgebiet des Oligarchen Deripaska. Das Logo des Baulöwen und Aluminiumkönigs, der auch in Deutschland und Österreich aggressiv auf Einkaufstour ist, verschreckt mittlerweile viele der 3000 Menschen, die hier leben: Russen, Ukrainer und Armenier. Ein wüstes Konglomerat von Datschen, Gemüsegärten, Schuppen und Wohnhäusern, manche sind erst halb fertig, zieht sich bis hin zum Psou. Mitten durch den Fluss geht die Grenze zu Abchasien, Georgiens abtrünniger Schwarzmeer-Region. Noch lange nach dem Krieg 1993 haben die Menschen hier Leichen aus dem Meer gefischt. „Das können Sie ruhig schreiben“, sagt ein Armenier. „Damit die Gäste wissen, dass Olympia in einem Krisengebiet stattfindet.“ Nun fürchten viele, dass sie in Plattenbauten am Stadtrand von Sotschi umgesiedelt werden und nur lächerliche Entschädigungen für ihre Parzellen bekommen. Das IOC, empört sich Andrej Rudomacha von der Umweltorganisation „Ökologische Wacht Nordwestkaukasus“, habe „offenbar vergessen, dass der Aufbau einer besseren Welt zu seinen vordringlichsten Zielen gehört“.

Schon Anfang kommenden Jahres erwarten die Menschen am Fluss Psou die Planierraupen. An der Mündung des Flusses ist ein Yachthafen geplant, der zunächst als Frachthafen fungieren soll. Der Transport von Baumaterial, schwant Alexander Tkatschow, dem Gouverneur der Region Krasnodar, sei „eine der größten Herausforderungen“ für die Spiele.

Auf Platz zwei der Dringlichkeitsliste steht die Baumschule. Denn die Setzlinge, die in nur sieben Jahren Schatten spenden sollen, müssen sich erst an den sumpfigen Boden gewöhnen.

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