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Sport: Spiel mit der Geschichte

Athen wirbt mit seiner antiken Vergangenheit – und verärgert die Archäologen

Aglaia Archontidou muss das Internationale Olympische Komitee (IOC) für einen Klub von Angebern halten. Denn das IOC hat das Kugelstoßen der Männer und Frauen bei den Spielen in Athen 2004 (13. - 29. August) nach Olympia gelegt. Symbolträchtig sollen die Kugeln dort in den Sand fallen, wo schon die Olympischen Spiele der Antike stattfanden. Damit kann das IOC wohl viele Sportfans begeistern, aber nicht Aglaia Archontidou. Die Chefin der Archäologen-Vereinigung Griechenlands hält es lieber genau mit der Vergangenheit. „In der Antike warfen nur Männer die Kugel“, sagt Aglaia Archontidou. „Dies alles kann nicht als Rückkehr zu Antike angesehen werden. Das geschieht doch nur, um Eindruck zu schinden.“ Mit dem leichtfertigen Umgang von Symbolen sollte man sie wohl besser nicht reizen.

Das IOC wird der strengen Gelehrten sicher entgegnen, sie habe den olympischen Gedanken nicht richtig verstanden. Es gibt 2004 ja auch keinen Olympiasieger im Weitsprung mit Schwunggewichten. Das gab es nur in der Antike. Wichtig ist, dass die Vergangenheit spürbar wird in den modernen Spielen. Schließlich fanden 1896 in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Traditionspflege ist für die Verantwortlichen in Griechenland Pflicht. Etwas respektloser ausgedrückt: Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig. „Wir können nicht die besten, nicht die perfektesten und nicht die teuersten Spiele ausrichten“, sagt Aris Kalandides, Kommunikationsexperte und Olympiaberater in Athen. „Wir setzen auf die Tradition, um ein eigenes Profil zu erreichen.“

Die antiken Sportstätten bestehen noch alle, mehr oder weniger verwildert, aber das lässt sich korrigieren. Sorgfältig allerdings, sonst droht Ärger mit den Archäologen. Deshalb wird in Olympia auch nicht Diskus geworfen. Beim Diskuswerfen könnte zu viel kaputt gehen. Eine Kugel fliegt maximal 22 Meter weit, da ist der Schaden begrenzt. Es gibt auch keine zusätzlichen Tribünen und keine elektronischen Anzeigetafeln.

Der Marathonlauf startet in Marathon, die Strecke ist ähnlich wie jene von 1896. Die 42,195 Kilometer enden im Panathinaiko Stadion. Dort wurden 1896 die ersten Spiele der Neuzeit ausgetragen, und dort werden im August auch die Pfeile der Bogenschützen durch die Luft fliegen. Im März wird außerdem die olympische Flamme in Olympia entzündet. Aber das ist vor jeden Olympischen Spielen so.

Überhaupt ist die Symbolik vor allem etwas für Touristen und die Fernsehzuschauer. „Viele Griechen lachen über die Zeremonie mit der entzündeten Flamme, sie ist ein bisschen albern“, sagt Kalandides. „Auch sonst denken die Griechen weniger an die Antike als die Touristen.“ Den Verantwortlichen ist es ohnehin wichtig, dass die Besucher außer Sport auch noch das moderne Athen sehen. „Viele Griechen ärgert es, dass man ihr Land auf die Antike reduziert“, sagt Kalandides. Deshalb hat das Nationale Olympische Komitee ein eigenes „Referat für Stadtgesichter“ eingerichtet. Das bietet Themen-Spaziergänge wie „Athen der Gesichter“ oder „Athen der Geräusche“. Teilnehmer pilgern zu besonders lauten Straßen und lärmenden Marktplätzen oder zu eigentlich grauen Straßen, die dann mit bunten Fahnen verschönert werden. Olympia ist auch in Athen ein Wirtschaftsfaktor.

Im Zweifelsfall hat die Antike zurückzustehen. Die olympische Ruderstrecke wird auf dem Schlachtfeld gebaut, in dem die Athener 490 vor Christus die Perser besiegten. Archäologen aus aller Welt protestierten lauthals gegen den Standort, die Regierung konterte mit einem Gutachten, in dem ein Geologe befand, das Schlachtfeld habe an anderer Stelle gelegen. Nachforschungen ergaben zwar, dass diese Expertise wohl nicht haltbar sei. Aber gerudert wird trotzdem dort, wo früher Blut floss.

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