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Sport: Spiel mit der Zukunft

Völlers Fußballer hatten diesmal kein Losglück und stehen vor einer schweren EM-Endrunde

In Zeiten der Angst muss man sich selbst ein bisschen Mut zureden. Das „Eindhovens Dagblad“ ist nach dieser Methode verfahren. Am Tag nach der Auslosung für die Fußball-Europameisterschaft im Juni 2004 in Portugal erschien die Zeitung mit der Schlagzeile: „Deutschland stöhnt nach der EM-Auslosung: Oh nein, Oranje!“ Die holländische Nationalmannschaft habe ihren Gegnern schon Monate vor Turnierbeginn einen (psychologischen) Schlag versetzt, ja, geradezu sprachlos seien die Deutschen.

Am 15. Juni wird die deutsche Nationalmannschaft gegen die Niederlande ihr erstes EM-Gruppenspiel bestreiten. Lettland und der gar nicht geheime Turnierfavorit Tschechien sind die anderen Vorrundengegner. Es hätte – was den Deutschen nur selten passiert – auch einfacher kommen können. „Mit dieser Gruppe brauchen wir uns vor keiner anderen Gruppe verstecken“, sagt Teamchef Rudi Völler.

Aus solchen Aussagen spricht immer noch das latente schlechte Gewissen: Die Deutschen, so heißt es, seien 2002 nur deshalb Vizeweltmeister geworden, weil sie bei der WM so viel Glück mit der Auslosung hatten. Das Rätsel, wie stark Völlers Team im internationalen Vergleich wirklich ist, ist daher nicht gelöst. „Sind wir eine gute Mannschaft? Oder sind wir eine schlechte Mannschaft?", hat selbst Nationalspieler Jens Jeremies sich gefragt. Die Zweifel sind auch deshalb entstanden, weil die Deutschen seit drei Jahren gegen keine der großen Fußball-Nationen mehr gewonnen haben. In acht Spielen (gegen Frankreich, England, Argentinien, Brasilien, Holland, Spanien, Italien und wieder Frankreich) gab es acht Niederlagen. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns zu schwach zu reden", sagt Völler. „Bei der EM werden wir stärker sein als zuletzt." Sein Optimismus gründet darauf, dass der Nationalmannschaft schon seit längerem einige wichtige Spieler wegen Verletzungen fehlen: Dietmar Hamann zählt dazu, Sebastian Deisler, Christoph Metzelder oder Torsten Frings. Doch nicht immer erfüllen sich die Hoffnungen, dass verletzte Spieler rechtzeitig fit werden. Christoph Metzelder hat seine Teilnahme an der EM abgeschrieben, und auch bei Deisler ist im Moment nicht abzusehen, wann er wieder Fußball spielt.

Die zweite Säule, auf der Völlers Zuversicht ruht, ist die Hoffnung, dass sich die jüngeren Spieler bis zur EM noch steigern werden. Mit Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi, Arne Friedrich, Paul Freier, Tobias Rau und Benjamin Lauth könnten eine ganze Reihe talentierter Nachwuchskräfte dem EM-Kader angehören, die noch kein großes Turnier bestritten haben. Bei der EM würden sie die internationale Erfahrung sammeln, die sie für die WM 2006 benötigen, wenn Deutschland im eigenen Land Weltmeister werden soll. Im Moment besitzt die Mannschaft zu wenig Spieler, die hohen Ansprüchen genügen: Oliver Kahn ist der eine, Michael Ballack der andere. Die EM ist daher eine Art Vorbereitungsturnier für die WM 2006.

Der überraschende Erfolg bei der WM 2002 hat die Deutschen wieder mit ihrer Nationalmannschaft versöhnt; ein Misserfolg bei der EM hingegen könnte schlimme Folgen haben. Die EM wird für Völler die größte Herausforderung seiner bisherigen Trainerkarriere. Bei der WM konnte er nur gewinnen – weil kaum jemand geglaubt hatte, dass seine Mannschaft das Achtelfinale überstehen würde. In Portugal aber kann er nur verlieren – weil das, was er in Japan und Korea erreicht hat, schon wieder als der Normalfall angesehen wird. Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des DFB, spricht seit Monaten vom Erreichen des Halbfinales. Nach der Auslosung hat er diese Forderung etwas eingeschränkt: Den Einzug ins Halbfinale hält er für möglich, „wenn du diese Vorrunde überstehst“. Das aber wird schwierig genug.

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