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Sport: Sport ist Arbeit

Hartz IV bringt den Vereinen viele Vorteile – Arbeitslose helfen nun mit Ein-Euro–Jobs aus

Berlin - So ungefähr könnte es sich die Bundesregierung vorgestellt haben: Arbeitslose, die dankbar dafür sind, eine sinnvolle Aufgabe gefunden zu haben, Bürger, die sich freuen, dass Dinge wieder erledigt werden, die vor kurzem noch liegen geblieben sind, und ein Chef, der sagt: „Nicht alles an Hartz IV ist schlecht.“

Das Hartz-IV-Musterdorf mit seinem Leiter Hartmut Neumann liegt im Berliner Stadtteil Siemensstadt. Das vom SC Siemensstadt betriebene Sport- und Freizeitzentrum ist ein 64 000 Quadratmeter großer Komplex aus Schwimmbad, Turnhallen, Fußball- und Tennisplätzen. Hier befindet sich die neue Arbeitsstelle von Dieter Schreiber, 49, und von Andreas Völker, 44. Sie gehören zu den ersten 50 Arbeitslosen in Sportvereinen, die im Rahmen eines Pilotprojekts in Berlin- Spandau schon am 1. Oktober vergangenen Jahres eine der neuen „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ angetreten haben – besser bekannt als Ein-Euro-Jobs.

Schreiber ist gelernter Bauschlosser, sein Kollege Völker ist Maurer, beide geben die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit schon nicht mehr in Monaten an, sondern in Jahren. Nun erledigen sie gemeinsam mit drei weiteren Billigjobbern kleine Reparaturarbeiten, sie wechseln defekte Lampen aus oder helfen Badegästen, die ihren Spindschlüssel verloren haben. Für die 30 Stunden in der Woche bekommen sie 180 Euro Zusatzverdienst zu ihrem Arbeitslosengeld. Das sind 1,50 Euro in der Stunde. Sie hätten den Job nicht annehmen müssen, erst seit dem 1. Januar kann der Staat Arbeitslosen, die einen angebotenen Job ablehnen, die Bezüge tatsächlich kürzen. Doch Andreas Völker hat es in seiner Wohnung nicht mehr ausgehalten. Er sagt: „Wenn ich zu Hause sitze, kommt doch niemand und bietet mir Arbeit an.“

Dass die Zusatzjobs für Sportvereine besonders attraktiv sind, erklärt Gabriele Sonntag so: „In den Vereinen ist das Geld knapp. Da wird jede helfende Hand gern gesehen.“ Sonntag ist Projektkoordinatorin bei der Beschäftigungsgesellschaft „Sport für Berlin“, einer Tochter des Landessportbundes. „Der Sport ist prädestiniert für die Zusatzjobs, weil dort viele Berufe aufeinander treffen“, glaubt Gabriele Sonntag. In Vereinen gebe es Beschäftigungen für Übungsleiter, aber auch im Handwerk und in der Verwaltung. Beim TSV Spandau 1980 etwa entwarf ein arbeitsloser Mediengestalter den Internetauftritt, ein Versicherungskaufmann kümmerte sich um die Kontakte zu Sponsoren.

Das Pilotprojekt wird nun ausgeweitet. Seit Anfang des Jahres können alle Sportvereine in Deutschland Ein-Euro-Jobber anfordern. Bedingung ist, dass die neuen Stellen keine ehrenamtlichen oder gar hauptamtlichen Tätigkeiten verdrängen. Diesen Effekt befürchtet Gabriele Sonntag aber nicht. „Die Leute sollen das Ehrenamt ja unterstützen. Und in den Vereinen gibt es genug zu tun.“

Entsprechend groß ist das Interesse an den Jobs, zumal die Ein-Euro-Kräfte die Sportvereine keinen Cent kosten. Die Bezahlung übernehmen die Arbeitsagenturen. Die Jobs im Sport sind auch bei den Arbeitslosen selbst beliebt, viele wollen den oft finanzschwachen Vereinen helfen. In Spandau haben sich einige sogar auf eigene Initiative um einen Ein-Euro-Job beworben.

Dennoch bringt Hartz IV für die Vereine nicht nur Gutes. Der Deutsche Sportbund (DSB) fürchtet, dass sich die finanzielle Lage der Vereine durch die Arbeitsmarktreformen weiter verschärfen könnte. Denn gerade die Mittelschicht, aus der die klassischen Beitragszahler der Vereine kommen, ist von der Kürzung des Arbeitslosengeldes besonders betroffen. „Die sozialen Härten in dieser Gesellschaft können auch die Sportvereine treffen“, sagt der DSB-Präsident Manfred von Richthofen, „aber der Verein bleibt ein sozialer Anlaufpunkt.“

Hartmut Neumann, der Geschäftsführer des Sport- und Freizeitzentrums Siemensstadt, ist mit seinen fünf neuen Mitarbeitern jedenfalls zufrieden. „Wenn wir die Leute nicht hätten, würden viele Arbeiten nicht mehr durchgeführt“, sagt er. Dem Verein fehle das Geld für viele notwendige Reparaturen am 20 Jahre alten Gelände.

Aus diesem Grund ist allerdings auch fraglich, ob die Sportvereine für die Arbeitssuchenden eine „Brücke zur Erwerbsarbeit“ darstellen können, wie es der DSB wünscht. Auch der SC Siemensstadt wird am Ende der neunmonatigen Beschäftigungsverhältnisse wohl niemanden einstellen. „Sollte allerdings einer unserer festen Mitarbeiter ausfallen, würden wir zuerst unter diesen Leuten suchen“, sagt Geschäftsführer Neumann.

Andreas Völker und Dieter Schreiber mögen nicht mehr daran glauben. Die lange Arbeitslosigkeit hat sie desillusioniert. „Große Hoffnung, etwas zu finden, habe ich nicht mehr“, sagt Schreiber. „Wie es nach dem Job weitergeht, wissen wir nicht.“ Bisher weiß das niemand.

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Steffen Hudemann

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