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Sie sollen inspirieren. Die deutsche Olympiamannschaft mit Fahnenträgerin Natascha Keller bei der Eröffnungsfeier der Spiele 2012 in London.

© dpa/Kappeler

Sporthilfe-Chef Michael Ilgner: "Es darf nicht nur um Maximierung von Medaillen gehen"

Sporthilfe-Vorsitzender Michael Ilgner sagt 100 Tage vor Rio, warum olympische Athleten mehr Vorbild sein können als Profisportler.

Herr Ilgner, in 100 Tagen beginnen die Spiele in Rio, aber Olympia hat in Deutschland zuletzt nicht begeistert. Als die Hamburger Olympiabewerbung gescheitert war, erklärte Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste den olympischen Sport in Deutschland für tot. Hat er vielleicht sogar Recht?

Ich fand es vollkommen in Ordnung, dass Mo Fürste bei allen teilweise weichgespülten Statements von Sportfunktionären klar seinen Frust ausdrückt. Aber wenn man es mit Distanz betrachtet, sollte man eine solche Niederlage nicht als Indikator sehen für all die Kraft und Möglichkeiten, die der Leistungssport generell in Deutschland nach wie vor hat.

Was meinen Sie damit?

Ende Januar hat an einem Wochenende Eric Frenzel beim Seefeld-Triple in der Nordischen Kombination einen historischen Sieg gefeiert, Angelique Kerber die Australien Open gewonnen und die Handball-Nationalmannschaft die EM. Da hat man plötzlich wieder gesehen, was der Sport noch bewegen kann.

Als Sporthilfe-Vorsitzender muss man wohl Frenzel vor Kerber und den Handballern nennen.

14 von 18 Handballern sind von der Sporthilfe im Juniorenbereich gefördert worden. Ich will sie nicht vereinnahmen. Aber ich freue mich, dass wir auch da einen Beitrag leisten konnten.

Allein die Bewerbung für Olympia wäre gerade für kleinere Sportarten ein Motor geworden. Was könnte das stattdessen sein?

Der Motor ist jetzt erstmal weggefallen. Da gibt es auch so schnell keinen Ersatz. Aber nehmen Sie die Sporthilfe. Ihre Ertragsquellen sind ganz andere als vor sechs oder acht Jahren, mit vielen Wirtschaftspartnern. Aber wenn die Sporthilfe damals nicht in Not gewesen wäre, wäre sie nie gezwungen gewesen, sich so zu entwickeln. Ihre Existenz hätte in Frage gestanden. So muss jetzt eben im deutschen Sport die Revolution durch eine Evolution ersetzt werden.

Verstehen Sie sich eigentlich immer mehr als Anwalt der kleinen Sportarten?

Wir verstehen uns als Dienstleister für Athleten. Und da im Speziellen für diejenigen, die die Breite, aber auch die Intensität des Leistungssports ausmachen, also die Ruderer, Hockeyspieler, Schwimmer. Die zwei-, dreimal am Tag trainieren und parallel ihre Ausbildung machen. Sie leisten Großartiges und haben durch ihre intrinsische Motivation, der Beste sein zu wollen, eine noch viel intensivere Vorbildwirkung als andere hochprofessionell aufgearbeitete Profisportarten, in denen sehr viel Geld unterwegs ist. Als ihr Anwalt verstehen wir uns.

Rutschen Sie immer mehr in diese Rolle hinein, weil es auf der einen Seite eine wachsende Aufmerksamkeit für den Fußball gibt und auf der anderen Seite Sportarten, die sich alles erkämpfen müssen?

Wir können als Sporthilfe eine Überzeugung haben, welche Förderung gut ist und zu unserer Kultur passt. Wir können dabei aber nicht andere große Entwicklungen außen vor lassen. Wir sehen eine Eventisierung der Gesellschaft, eine Digitalisierung und eine Individualisierung. Sportarten und Verbände müssen sich weiterentwickeln. Es gibt ja auch Sportarten, die sich neu etabliert haben wie zum Beispiel Triathlon. Diese Sportart hat ein sehr relevantes Umfeld und ist auch für manche Wirtschaftspartner wegen der interessanten Teilnehmer sehr spannend.

Sie arbeiten einerseits mit den größten Unternehmen des Landes zusammen. Und andererseits mit Sportarten, die nach den Gesetzen des Marktes nicht überleben würden, weil sie subventioniert werden müssen. Also arbeiten Sie gegen den Neoliberalismus im Sport?

Wenn Sie den Wert des Sports monetär sehen, könnte man zu diesem Schluss kommen. Aber wir spüren, dass das Konzept aufgeht, eine wertebasierte Athletenförderung zu betreiben. Es ist wichtig, Talenten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und außergewöhnlichem Willen die Chance zu geben, sich zu entwickeln. Damit sie wieder andere inspirieren und so für eine Dynamik in der Gesellschaft sorgen. Das ist auch für viele Unternehmen ein elementarer Bestandteil ihrer Philosophie: Wie entwickele ich meine Mitarbeiter, wie schaffe ich es, einen kontinuierlichen Innovationsprozess herzustellen, jeden Tag einen neuen Reiz zu setzen? Das sind ja Dinge, die Spitzensportler auf ganz herausragende Weise schon gezeigt haben.

Ist Ihre Arbeit also maßgeblich von der Zusammenarbeit mit Unternehmen geprägt?

Wir spüren in den Gesprächen mit Partnern, dass der eigentliche Gewinn einer Zusammenarbeit darin besteht, sich mit unseren Werten Leistung, Fairplay, Miteinander und dieser Form von Leistungsethik auch in den Unternehmen zu befassen. Das geht nicht von jetzt auf gleich, so wie bei den Athleten auch nicht. Ein Athlet wird von uns im Schnitt 9,2 Jahre gefördert, ehe er seinen sportlichen Höhepunkt erreicht. Das heißt, man muss erst jahrelang investieren oder wie Sie gesagt haben subventionieren. Es ist ja gerade das Spannende im Leistungssport, dass man vorher nicht weiß, wie es ausgeht, aber man trotzdem den Mut haben muss, einen jungen Menschen zu unterstützen. Der darf übrigens auch scheitern. Aber wenn wir dieses Prinzip nicht mehr hätten, ginge uns eine zentrale gesellschaftliche Triebkraft verloren.

Michael Ilgner, 44, ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe. Der promovierte Wirtschaftsingenieur spielte von 1990 bis 1997 in der Wasserball-Nationalmannschaft.
Michael Ilgner, 44, ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe. Der promovierte Wirtschaftsingenieur spielte von 1990 bis 1997 in der Wasserball-Nationalmannschaft.

© picture alliance / dpa /Schaubitzer

Und Sie halten die gesellschaftliche Relevanz der Leistung im Bogenschießen, Bobfahren, Bahnradfahren für hoch genug, um sich mit dieser Intensität zu engagieren?

Ich denke schon, dass man sich mit der Frage der Verankerung des Sports in der Breite der Bevölkerung befassen muss. Auch in Fragen der Förderung und der Schwerpunktsetzung. Da muss man aber das richtige Maß finden. Leistungssport heißt nun einmal, der Beste der Welt sein zu wollen. Ein Fördergrund ist aber eben auch die Vorbildwirkung und Inspirationskraft des Sportes. Diese Inspirationskraft darf man nicht nur auf den Konsum beschränken, sondern muss sich auch danach richten, welche Wirkung das entfaltet für Nachwuchs und Vereine.

Welche Wirkung entfaltet denn ein Bahnradfahrer beispielsweise?

Ich kann es Ihnen vielleicht an einem anderen Beispiel erklären. Als vor einem halben Jahr die Rugby-WM lief, habe ich das zufällig mit meinen Kindern angeschaut. Die fanden das auf den ersten Blick total faszinierend. Dann habe ich ihnen die Regeln erklärt, und sie haben verstanden, dass es auf der einen Seit ein harter Sport ist, auf der anderen Seite aber Regeln und Respekt vor dem Schiedsrichter dazugehören. Und dass die Siegermannschaft der unterlegenen nach Spielschluss ein Spalier bildet. Von da an wollten sie unbedingt zum Rugby. Und sie haben es auf ihr eigenes Sporttreiben übertragen, wenn wir etwa beim Fußball gestritten haben.

Gibt es nicht Sportarten, denen so etwas schwerer fällt? Ich habe nach Bahnradfahren gefragt, und Sie haben mit Rugby geantwortet.

Natürlich gibt es da Unterschiede. Ich werde mit Sicherheit nicht die Sportarten in eine Reihenfolge bringen. Das steht mir nicht zu.

Aber der Diskussion sollte man sich stellen, sagten Sie.

Ja, ich denke auch, dass man in dieser Diskussion überhaupt nichts zu verlieren hat. Denn wir sind ja alle der Meinung, dass der Sport eine riesengroße Bedeutung für die Gesellschaft hat. Aber man kann sie nicht immer bemessen in Einheiten und unmittelbarer Wirkung. Es kann sein, dass ein Olympiasieger im Bahnradfahren durch die Art und Weise, wie er auftritt, sogar noch wesentlich relevanter ist, weil ihm Millionen von Menschen zujubeln, als ein Athlet in einer Disziplin mit großer Breitensportwirkung, wo wir aber kein Vorbild haben und keine Inspiration entfacht wird. Ich glaube, es ist historisch wichtig, dass Deutschland nicht nur auf eine Maximierung der Medaillenzahlen aus ist, sondern die sportliche Vielfalt nach wie vor zulässt.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

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