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Eine Flucht und ihr bleibendes Bild. In einer Ausstellung in Berlin wird DDR-Spitzensportler Axel Mitbauer porträtiert und interviewt. Er schwamm einst durch die Ostsee. Foto: dapd

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Sportverräter: Diplomaten auf der Flucht

Bis 1989 verlor die DDR 600 Athletinnen und Athleten an den Westen Deutschlands. Eine Ausstellung in Berlin erzählt nun von ihren unterschiedlichen Lebenswegen Richtung Westen.

Er wurde angefeindet. „Läuft für Adenauer“. Und unter Druck gesetzt. „Du musst dich bekennen!“ So hat er es kürzlich erzählt. Manfred Steinbach, Weltklasse-Leichtathlet, der als erster Deutscher über acht Meter weit sprang, war beim SC Wissenschaft Halle aktiv, ehe er 1958 halb legal mit einem eigens für Sportler ausgestellten Reisepass in den Westteil Berlins floh. Auf seine Flucht folgten Schauprozesse stalinistischer Art, sein Trainer Walter Richter musste zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis.

Steinbachs Schicksal ist eines von vielen im Sport. Bis 1989 wechselten 600 Athletinnen und Athleten vom Osten in den Westen Deutschlands, was der um Reputation durch Medaillen bemühten DDR besonders wehtat. Schließlich hatte sie ihre Sportler zu „Diplomaten im Trainingsanzug“ erhoben. Diese Inanspruchnahme für eigene ideologische Zwecke vor allem war es, die manchen Athleten missfiel. Sie wollten einfach nur ihren Sport machen.

Heute, 50 Jahre nach dem Mauerbau, erzählen die Athleten offen von ihren Schicksalen. In Berlin eröffnet heute eine Ausstellung über ihre unterschiedlichen Lebenswege gen Westen (siehe Kasten). Gemeinsam ist ihnen, dass man aus ihren Geschichten lernen kann, wie die DDR mit unangepassten Sportlern umging.

Bei Schwimmer Axel Mitbauer, zweifacher DDR-Meister, war ein halb legaler Wechsel gen Westen nicht mehr möglich, die Mauer stand schon. Nach einem gescheiterten Fluchtplan saß er mehrere Wochen bei der Stasi ein. Dunkelzelle, Einzelhaft, „das volle Programm“, sagt er lakonisch. Wieder „in Freiheit“, waren die Olympischen Spiele 1968, von denen er geträumt hatte, vorbei.

Nach Entdeckung des Fluchtplans hatte er ohnehin lebenslanges Startverbot erhalten. „Damit war mein Leben in der DDR zu Ende, denn mein Leben war und ist das Schwimmen.“ So schwamm er im August 1969 22 Kilometer durch die Ostsee, um bei einer Ruhepause auf einer Leuchtboje in der Lübecker Bucht von einer Fähre aufgenommen zu werden. Er feierte es als seinen zweiten Geburtstag. „An dem Tag habe ich für mich die Mauer eingerissen.“

Die Flucht von Sportlern hatte viele Gesichter und Geschichten, manche stellten auch Ausreiseanträge. „Nichts hat die DDR mehr geprägt als die Mauer“, sagt Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte. „Und der Sport war ein höchst sensibles Thema für die DDR-Führung.“ Braun zitiert gern eine Aussage von DDR-Sportchef Manfred Ewald vom Anfang der 80er Jahre: 30 Goldmedaillen würden nichts nützen, „wenn nur einer abhaut“.

Denn dann würde die Westpresse über nichts anderes schreiben. Um dies zu verhindern, arbeitete die DDR einerseits mit Privilegien, andererseits mit Bespitzelung und Repression. „Die politische Justiz gegen DDR-Sportler war weiter verbreitet, als man denkt“, stellt Braun fest.

Mitbauers Flucht war in dieser Hinsicht eine Zäsur. „Von da an wurden alle Verbindungen von DDR-Leistungssportlern gen Westen lückenlos überwacht und registriert“, erzählt Forscherin Braun. Als gefährlich seien „Republikfluchten“ von Sportlern vor allem wegen möglicher Dopingenthüllungen angesehen worden. In Mielkes Überwachungsapparat hatte der „Zentrale Operative Vorgang“ der Athletenbespitzelung einen bezeichnenden Namen: „Sportverräter.“ So heißt nun auch die Ausstellung über die Sportler, die ihren eigenen Weg gehen wollten.

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