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Sport: Sprinten für die Mutter

400-m-Olympiasiegerin Williams-Darling von den Bahamas kann heute eine Million Dollar gewinnen

Berlin - Zu Hause ist alles in Ordnung, Tonique Williams-Darling hat gleich nachgeforscht. Der Hurricane „Francis“ fegte über die Bahamas, der Strom brach zusammen, Holzhäuser wurden verwüstet, aber Deborah Williams, der Mutter, und den drei Geschwistern von Tonique Williams-Darling ist nichts passiert. Die 28-Jährige selber war weit weg an diesem Tag, sie rannte in Brüssel beim Golden-League-Meeting. Vorher noch hatte sie zu Hause, auf den Bahamas, angerufen. Anschließend gewann sie die 400 m. Tonique Williams-Darling kann sich heute beim Istaf (Olympiastadion, Beginn: 13 Uhr) also ganz auf den Sport konzentrieren. Sie ist schließlich eine Jackpot-Anwärterin. Wenn sie wieder die 400 m gewinnt, erhält sie viel Geld. 500 000 Dollar, wenn sie sich den Jackpot mit Christian Olsson, dem schwedischen Dreispringer, teilen muss, eine Million, wenn sie siegt und Olsson verliert.

Und dann, was passiert mit dem ganzen Geld? Hat sie einen Kindheitstraum? Tonique Williams-Darling legt den Kopf in den Nacken, ganz langsam, ganz betont sagt sie dazu: „Ich möchte dann meine Familie unterstützen, vor allem meine Mutter.“ Ohne Deborah Williams hätte die Tochter Tonique nicht an der Universität von South Carolina studieren können, ohne sie hätte die 28-Jährige auch nie den Freiraum für eine steile sportliche Karriere bekommen. Die Karriere hatte in Athen ihren Höhepunkt. Es gibt dieses Bild: Die 400-m-Olympiasiegerin Williams-Darling sieht auf ihrer Ehrenrunde plötzlich ihre Mutter. Sie fällt ihr um den Hals, Tränen fließen, Fotografen knipsen, es ist eines der Bilder, die nach Rührung und Kitsch aussehen.

Man kann dieses Bild im Fall Williams-Darling aber auch als Zeichen tiefer Dankbarkeit betrachten. Deborah Williams erzog allein vier Kinder, sie flog zudem als Stewardess bei den Bahama Airlines, und sie hatte ihren Haushalt. „Sie ist eine sehr starke Frau“, sagt Tonique Williams-Darling. „Manchmal wusste ich nicht, wie sie alles macht.“ Die Mutter bestand darauf, dass Tonique unbedingt aufs College geht. Wenigstens sie. Die älteren Geschwister arbeiteten nach der High-School. Das Geld fehlte, um alle drei aufs College zu schicken. Aber der jüngste Sohn geht noch zur High-School. Möglich, dass die erfolgreiche Schwester später sein College bezahlt.

Weil Tonique Williams nicht arbeiten musste, hatte sie die Zeit fürs Training. Sie nutzte die Chance, vielleicht auch durch den Einsatz verbotener Substanzen, man weiß das nicht. Aber für sie geht es um die generelle Chance, nach oben zu kommen. Diese Hilfe bindet sie so eng an die Mutter und die Familie. Die Mutter aber lag im März schwer krank im Krankenhaus, und die Tochter lief bei der Hallen-WM in Budapest. Für Tonique Williams-Darling waren das „sehr schwere Momente“. Sie zögerte lange mit einem WM-Start. Sie lief dann doch, weil sich die Großmutter und die Geschwister um die kranke Mutter kümmerten. Tonique Williams-Darling gewann Bronze. Die Mutter überstand die Krankheit, die Tochter ist seit dem Ende der Hallen-WM über 400 m unbesiegt.

Tonique Williams-Darling stellt keine direkte Verbindung zwischen beiden Punkten her, aber sie ist nachdenklicher geworden seit Budapest, sagte sie. Der Sport hat an Bedeutung eingebüßt. Sie gibt das auch in ihrer Kirchengemeinde in Norfolk, Virginia, USA, weiter. Dort lebt sie seit 2002. Zweimal pro Woche trainiert sie in ihrer Gemeinde Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. „Aber ich bringe ihnen auch bei, dass Ausbildung das Wichtigste ist.“ In der Kirchengemeinde haben sie schon gewusst, dass da eine gute Sportlerin zu ihnen gehört. Aber wie gut sie wirklich ist, erfuhren die Mitglieder erst, als der Pastor auf der Kanzel verkündete, dass Tonique Williams-Darling bei der Hallen- WM eine Medaille gewonnen hatte. „Und als sie vom Olympiasieg hörten, gerieten sie völlig aus dem Häuschen.“ Nicht nur in Norfolk, Virginia. Auf den Bahamas „stand an diesem Tag alles still. Die Leute haben das als ihren persönlichen Erfolg verstanden“, sagt Williams-Darling. Sie hat dieses Gefühl stark gefördert. In Athen verkündete sie feierlich: „Ich widme diese Medaille meinem Land.“ Und in Gedanken ergänzte sie: Und meiner Mutter besonders.

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