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Sport: Sprinter mit Holzstöcken

Hochstart, kaputte Stoppuhr, starke US-Athleten – wie der erste Wettkampftag bei Olympia 1896 in Athen verlief

Berlin - Die königliche Familie steuerte huldvoll die Kurve im Stadion an. Ganz vorne schritt König Georg I. von Griechenland zur Ehrenloge im Panathinaikos-Stadion, dahinter kam Kronprinz Konstantin. 70 000 Zuschauer verfolgten ehrfurchtsvoll die Szenerie. Das lag natürlich an der königlichen Familie, das lag aber auch daran, dass es zumindest für die Griechen ein historisches Datum war. Am 5. April 1896 eröffnete König Georg die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit. In seiner Loge verkündete der König feierlich: „Ich erkläre den Beginn der ersten internationalen Olympischen Spiele in Athen.“ Mehr nicht. Für „eröffnet“ wurde nichts erklärt. Dafür spielte ein Orchester die olympische Hymne, und ein Chor sang dazu. Und weil die Musik so gut ankam bei den Zuschauern, wurde die Hymne gleich noch einmal wiederholt. Das war’s aber auch an Feierlichkeiten. Kein olympisches Feuer, kein Einmarsch der Nationen, keine Eröffnungsfeier.

Olympia hatte außerhalb von Griechenland noch nicht diese Aura des Besonderen. Die USA schickten ein paar Studenten, die Deutschen rückten mit 21 Athleten an. Kein einziger Weltrekordler startete in Athen. Dafür kämpften Athleten um Medaillen, die auf geradezu abenteuerliche Weise zu ihrem Einsatz gekommen waren. Der deutsche Tourist August Göderich war mit dem Fahrrad von Dresden nach Athen gefahren, für ihn war das ein anstrengendes Freizeitvergnügen. In Athen las er dann, dass man sich für die Spiele melden konnte. Er ließ sich registrieren, und ein paar Tage später war Göderich zum Olympia-Zweiten im Straßen-Radfahren aufgestiegen. Ein Schweizer Tourist besuchte in Athen eigentlich nur seinen Bruder. Ein paar Tage später verrenkte er sich im Turnwettkampf.

Kaum hatte sich der König wieder gesetzt, begannen auch schon die Wettkämpfe. Der 100-m-Lauf, drei Vorläufe. Fünf bis sechs Sprinter standen pro Lauf am Start. Die meisten starteten im Hochstart. Nur einer kauerte im Tiefstart auf der Aschenbahn. Ein anderer stützte sich auf zwei 20 Zentimeter große Holzstöcke, dicken Dirigentenstäben nicht unähnlich.

Der Startschuss. Der Starter knallte mit einer echten Pistole, allerdings war die mit Platzpatronen munitioniert. Den ersten Lauf gewann der US-Amerikaner Francis Lane, gestoppt in 12 1/4 Sekunden. Der Zweite rannte 12 2/4 Sekunden. Genauer war die Zeit nicht zu ermitteln. Die beiden Stoppuhren, die es bei den Spielen gab, zeigten nur Viertelsekunden an. Die restlichen Zeiten wurden schlicht geschätzt. „Ein Fuß Rückstand, zwei Fuß Rückstand“, so urteilten die sechs Kampfrichter am Zielstrich. 12 1/4 Sekunden war allerdings nicht besonders schnell. Der Weltrekord stand bei 10 3/4 Sekunden.

Im dritten Vorlauf setzte sich Thomas Burke, ebenfalls USA, durch. Später sollte er auch das Finale gewinnen vor dem Deutschen Fritz Hoffmann. Ein anderer Deutscher, Kurt Doerry, verletzte sich dagegen in seinem Vorlauf. Doerry rannte wie alle anderen Sprinter in weichen Straßenschuhen. Nach den Sprintern hatten die Weitspringer ihren Auftritt. Es war der Vorkampf. Die Weiten waren dabei eher bescheiden. 6,35 m zeigte ein Helfer auf seiner Anzeigentafel an, nachdem Ellory Carl aus den USA gesprungen war. Weiter kam an diesem Tag keiner. Da aber nicht alle Zuschauer die Nummern der Weitentafel lesen konnten, brüllte ein anderer Helfer mit einem Megafon die jeweilige Leistung durchs Stadion.

Der erste Olympiasieger überhaupt wurde kurz darauf ermittelt, im Dreisprung. James Connolly aus den USA setzte sich durch, allerdings nur mit mäßigen 13,71 m. Der Weltrekord stand bei 14,78 m. Connolly erhielt allerdings nur eine Silbermedaille. Kein Olympiasieger in Athen erhielt Gold. Gold war zu teuer, um damit Medaillen zu pressen. Wer Zweiter wurde, bekam eine Kupfermedaille, der Dritte einen warmen Händedruck.

Dann bereiteten sich die 800-m-Läufer auf ihre Vorläufe vor. Die beste Zeit lief der US-Amerikaner Edwin Flack, mit 2:10 Minuten, 17 Sekunden schlechter als der Weltrekord. Aber die Kurven im Stadion waren sehr eng, einige Läufer hatten sogar Probleme, nicht zu stürzen.

Die Diskuswerfer durften nicht in den Ring, als noch Läufer auf den Bahn unterwegs waren. Die starken Männer hatten ja nicht mal Fangnetze. Allerdings flogen die Disken selten weiter als 30 Meter. Auch der US-Amerikaner Robert Garrett, der sich an diesem Tag durchsetzte, kam nicht weiter. Die wenigsten Athleten warfen ja auch aus einer schwungvollen Drehung. Ein paar schleuderten die Scheibe sogar aus dem Stand. Helfer zogen dann ein Maßband vom Ring bis zum Einschlagspunkt des Diskus. Da gab’s keine große Diskussionen über Weiten und Platzierungen.

Die Zeitnehmer dagegen hatten schon sehr bald erhöhten Stress: Die zweite Stoppuhr ging schon kurz nach den 100-m-Vorläufen kaputt.

Mitarbeit Dr. Karl Lennartz, Leiter der olympischen Forschungsstätte der Deutschen Sporthochschule Köln.

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