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Sport: Spuren des Todes

Die italienische Justiz will erneut klären, warum der Formel-1-Fahrer Ayrton Senna starb

Imola/Barcelona. Lenkungsdefekt oder Zusammenspiel unglücklicher Umstände? Schlamperei des Teams oder ein Fahrfehler? Die Ursache des tödlichen Unfalls des brasilianischen Formel-1-Rennfahrers Ayrton Senna vom 1. Mai 1994 beschäftigt bis heute in unregelmäßigen Abständen die Rennsportszene – und die italienische Justiz. Sie will den Senna-Prozess noch einmal aufrollen. Dabei war man ja schon einmal ziemlich weit gekommen mit der Aufklärung – aber Rätsel bleiben bis heute.

Die Formel-1-Spitze hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie den am 20. Februar 1997 in Imola eröffneten Prozess nicht akzeptierte: Der Macher der Formel 1, Bernie Ecclestone, war als Zeuge vorgeladen, erschien aber nicht. Andere Zeugen kamen zwar, wollten sich aber an nichts mehr erinnern. An einer Aufklärung des Unfalls schien niemand wirklich interessiert zu sein – und das betroffene Williams-Team reagierte wie folgt: „Es geht nicht darum, hier die bestmöglichen Informationen zu liefern, es geht darum, den Prozess nicht zu verlieren. Schließlich ist es die Staatsanwaltschaft, die etwas beweisen muss. Unsere Strategie zielt darauf ab, zu verhindern, dass sie das kann“, erklärten die Williams-Anwälte damals.

„Williams hat sich von Anfang an sehr unkooperativ verhalten“, erinnert sich der italienische Ex-Formel-1-Pilot und heutige Audi-DTM-Fahrer Emanuele Pirro, Mitglied der offiziellen Untersuchungskommission, die den Bruch der Lenksäule als Unfallursache ermittelt hatte. Staatsanwalt Maurizio Passarinis Argumente der Anklage gegen die Williams-Technikchefs Patrick Head und Adrian Newey beruhten damals auf metallurgischen Gutachten, die von Ermüdungsbrüchen der Querschnittsfläche der Lenksäule handelten, Aussagen von Technikern der TU Bologna und eines aeronautischen Instituts, die auf einen Fehler bei den Schweißarbeiten an der Lenksäule hinwiesen.

Weitere Indizien lieferten die Aufnahmen aus der Inboard-Kamera aus Sennas Cockpit: Sie zeigen Bruchteile von Sekunden vor dem Abbrechen der Aufnahmen eine massive Verschiebung von Lenksäule und Lenkrad um über zwei Zentimeter. Ein Befund, den der inzwischen selbst am Lausitzring tödlich verunglückte einstige Ferrari-Pilot Michele Alboreto damals als „absolut unnormal“ bezeichnete. Gegen die Anklage standen die Argumente von Williams, die sich vor allem aus einer Computersimulation speisten und von Daten von Reifenhersteller Goodyear gestützt wurden. Die Quintessenz der Simulation jedenfalls lautete: Das Auto sei instabil gewesen, es habe einen ständigen Wechsel zwischen Über- und Untersteuern gegeben, das letzte, plötzliche Übersteuern, ausgelöst durch eine Unebenheit auf der Piste, habe Senna nicht mehr kontrollieren können.

Der frühere Ferrari-Ingenieur Mauro Forghieri, technischer Berater von Staatsanwalt Passarini, sagte dazu: „Ein Fahrer wie Senna soll über 100 Meter geradeaus auf eine Mauer zugefahren sein und gebremst haben, aber nicht versucht haben zu lenken, wenn die Lenkung funktioniert hätte?“ Am 16. Dezember 1997 wurden die Urteile gesprochen: Freisprüche. Dass es zu keiner Verurteilung der Williams-Spitze kam, lag daran, dass keine eindeutige persönliche Schuldzuweisung an die Technikchefs Patrick Head und Adrian Newey möglich war. Der Bruch der Lenksäule sei aber die einzige logische und schlüssige Erklärung für den Unfall, betonte Richter Antonio Costanzo. Doch in einem Berufungsverfahren 1999 war vom Bruch der Lenksäule nicht mehr die Rede.

Kürzlich erklärte der oberste italienische Gerichtshof, dass das an sich 1999 abgeschlossene Verfahren wegen vorliegender Formfehler noch einmal aufgenommen werden solle. Als Datum eines neuen Verfahrensbeginns wird inoffiziell der 3. Oktober 2004 gehandelt. Emanuele Pirro sagt zu dem Fall heute: „Es ging doch den meisten Beteiligten, zumindest uns in der Untersuchungskommission, nie wirklich um eine Bestrafung. Es ging darum, die Fakten aufzuklären, auch damit die ewigen Spekulationen endlich aufhören.“

Sennas Familie übrigens zeigte an dem ganzen Verfahren nie besonderes Interesse. Allerdings gibt es da möglicherweise noch einen anderen Hintergrund. Schon im März 1995 gab es, wie erst jetzt bekannt wurde, im brasilianischen São Paulo ein besonderes Zusammentreffen: Ayrtons Schwester Viviane, sein Cousin Fabio Machado und sein Manager Julian Jakobi empfingen einen Besucher, der dabei zugegeben haben soll, er gehe von einem Bruch der Lenksäule als Unfallursache aus. Es war Frank Williams.

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