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Union und St. Pauli sind sich längst nicht mehr grün.

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St. Pauli vs. Union Berlin: Blaumiesen in gelben Unterseebooten

Kleinkariertes Vorspiel, böse Männchen und fiese Botschaften - dabei geht es beim Spiel zwischen Union Berlin und dem FC St. Pauli um viel mehr, meint unser Kolumnist. Und er träumt von Solidarität im Haifischbecken

Letzten Freitag erlebte ich im ausverkauften Stadion An der Alten Försterei im Großdorf Berlin das Aufeinandertreffen der früheren Blutsbrüder FC St. Pauli und Union Berlin. Von der Solidarität, die beide Vereine in schwierigen Zeiten einst verband, ist nichts mehr übrig. Nur wenige aufrechte Geister der Vergangenheit kommen noch immer ins Schwärmen, wenn die Rede darauf gerät. Das ist schade, doch es entspricht im höchsten Maß der Mentalität der Fangruppierungen, sich gegenseitig der Scheißigkeit zu versichern und auch ein bisschen die Fäuste sprechen zu lassen. Vorm Spiel gab es leichte Kampeleien. Knapp 30 vermummte St.Paulianer wurden temporär festgesetzt.

Das kleinkarierte Vorspiel wurde beim Hinspiel in der Beatlesstadt Hamburg ausgetragen, als diverse Blaumiesen das Kasperletheater des gegenseitigen Hauens, Wegrennens usw. goutierten. Im gelben Unterseeboot sitzen die bösen Männchen, drehen an ihren Apparaturen herum und senden fiese Botschaften aus. Wenn nur dieses Individualitätsbedürfnis nicht wäre. Das Ich in der permanenten Anstrengung, anders als der Andere sein zu müssen. Es schleicht sich der Verdacht ein, Individualität wird am Ende als sehr zerbrechliches Besitztum empfunden. St. Pauli ist dem gemeinen Unioner zu politisch. Union ist dem St. Paulianer zu wenig politisch. Dabei wird der folkloristische Hintergrund der Fanhotten gern vergessen. Das ist doch alles nur grenzenloser Spaß! Kaum ein St. Paulianer hat sich der Weltrevolution verschrieben. Es geht darum, genüsslich das Anderssein, das Verliererimage im großen Geschäft zu zelebrieren. Die Theatralisierung als ästhetischer Widerstand. Showsport contra Arbeiterschweiß. Ein Tänzchen auf dem Vulkänchen. Da kann man sich schon mal umarmen.

Solidarität im Haifischbecken

Oke Göttlich, der neue Präsident von St. Pauli, stammt wie die neue Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler aus der Fanszene. Von solchen Leuten sind andere Entscheidungen zu erwarten, als sie Fußballverkäufer Kind & Co. praktizieren. Göttlich und Schwedler reisten gemeinsam mit ihren St. Paulianern mit der S-Bahn an. Mir hätte es gefallen, wenn Unionpräsi Zingler sie persönlich mit einer Currywurst am Gästeeingang empfangen hätte. Um das ganze ScheissUnionScheissSt.PauliGepöle zu entkrampfen. Zu zeigen, worum es geht. Solidarität im Haifischbecken, als Mitgliederverein Demokratie signalisieren, den sogenannten großen Clubs die lange Nase zeigen. Fan-nah zu sein und trotzdem gewisse Albernheiten bestimmter Fangruppen nicht gutheißen. Beim Fußball verhalten sich viele Menschen, als seien sie und ihre Ansichten von vorgestern. Liegt es an der unbewussten Enttäuschung über die unerfüllte Liebe der Spieler eines Clubs? Es kann nie zu einer wirklichen Vereinigung kommen. Dem im  Begehren geübten Fan bleibt nur die Fantasie.

Auf den Rängen dominierten während des Spiels die von ihrer Gefühlsproblematik gebeutelten Konfliktschaffenden. Nach dem Spiel durfte gar ein Unionfan auf dem Rasen allen St. Paulianern unter dem Beifall der gedankenlosen Masse den Stinkefinger zeigen. Ich würde ihn gern zu seinen Gründen befragen. Vielleicht sitzt tief in seinem Hinterstübchen eine Restwürde. Union muss möglicherweise ein kleines bisschen aufpassen, dass die schöne Alte Försterei nicht zum Spielplatz für Spinner verkommt und das schöne Wort Gastrecht mit Füßen getreten wird.

Keine emotionalen Körper - aber Zufall

Und wie war das spielerische Niveau? Nichts mit jugendlicher Grazie im Fieber der Leidenschaften.  Ich hatte meinen Notizblock gleich im Dacia gelassen. Ich benutze für meine Notizen seit Jahren billige Pappnotizblöcke. Um die spektakulären Bilder unseres Sports in ihrer fetischhaften Virtuosität zu verewigen. Ich habe sie einmal im Dutzend gekauft, sie kosteten nichts. Leider waren am Freitag auf dem Platz keine emotionalen Körper zu sehen. Deren hochleistungsfähige Aktivitäten ich hätte skizzieren können. Warum ich nicht die in Leinen gebundenen benutze, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht weil sie so adrett aussehen, zu teuer? Ich schmiere nur die billigen Hefte voll, obgleich auf meinem Schreibtisch inzwischen fünf edle sogenannte Reporterblöcke darauf warten, aus der Folie gepellt zu werden.

Der Zufall bedroht im Sport jedes Unentschieden wie jeden Sieg. Am Freitag sah es lange nach einem 0:0 aus. Dann stolperte der St-Pauli-Torwart und Union lochte kurz vorm Abpfiff ein. Haben wir den imaginären Tod von St. Pauli erlebt? Schlösse mir zum Beispiel unser gut berenteter DFB-Häuptling Niersbach einen Raum der Wünsche auf, würde ich darum bitten St. Pauli in der 2. Liga zu belassen.  Auch wenn ich damit möglicherweise die Spieler aus Aalen, Sandhausen oder Ingolstadt um die erträumte Erfüllung ihrer Zukunft bringen würde. Der Prozess der Erzeugung von Differenzen wird im Fußball wohl niemals abschließbar sein.

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