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Sport: Stabil ohne Schwung

Philipp Lahms Einsatz birgt Chancen und Risiken

Die wichtigste Nachricht dieser Tage ist eine erfreuliche für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Bei Philipp Lahm handelt es sich offenkundig um einen ganz normalen Menschen. Ganz sicher konnte man sich da nie sein: Ist Philipp Lahm nicht nur eine Idee? Die Idee, dass er unsere Probleme da lösen wird, wo sie traditionell am größten sind, hinten links, in der Viererkette. Ein Jahr lang, als der Fußballer Philipp Lahm wegen eines Fußbruchs und eines Kreuzbandrisses ausfiel, geisterte diese Idee durch das Land. Doch kurz bevor sie sich endgültig zu materialisieren begann, riss Lahm die Sehne im Ellenbogen. Zweieinhalb Wochen danach hat Lahm am Freitag gegen Kolumbien erstmals wieder für die Nationalmannschaft auf dem Platz gestanden. Eigentlich war erst das WM-Eröffnungsspiel in einer Woche das Ziel für seine Rückkehr, „aber für eine Weltmeisterschaft geht es auch mal ein bisschen schneller“, sagt Lahm.

Der Münchner trug am Freitag eine Plastikschiene, um den Ellenbogen zu schützen. Mit drei Lederriemen ist sie an seinem linken Arm befestigt, ein Metallgelenk ermöglicht moderate Streckungen zwischen 30 und 90 Grad. „Immerhin Bewegung“, sagt Lahm, dessen Arm zehn Tage eingegipst war. In Genf hat er das richtige Fallen geübt. Lahm darf sich nicht mit der linken Hand abstützen, bei einem Sturz muss er über den Unterarm abrollen. Bundestrainer Jürgen Klinsmann stand während des Spiels gegen Kolumbien oft an der Seitenlinie, um sich bei Lahm nach dessen Zustand zu erkundigen. Grund zur Sorge gab es nicht. „Wir sind froh, dass er ohne Probleme spielen konnte“, sagte Klinsmann. „Das gibt uns Sicherheit.“ Sein Assistent Joachim Löw hatte den Münchner „sehr clever, sehr abgebrüht“ erlebt, „er ist gut im Spiel nach vorne, macht viel, geht immer mit, ist immer präsent“.

Trotzdem bleibt ein Risiko. Dass Lahm nur schwerlich Einwürfe ausführen kann, ist laut Löw „das kleinste Problem“. Weitaus problematischer ist es, dass der nur 1,70 Meter große Lahm bei Kopfbällen und bei Sprints mit dem linken Arm keinen Schwung holen kann. Vier bis sechs Wochen muss er die Schiene tragen, also fast während der gesamten Weltmeisterschaft, möglicherweise sogar bis an ihr Ende. Und ob Lahm bei der WM überhaupt spielen darf, ist noch keineswegs sicher. Jeder Schiedsrichter entscheidet aufs Neue über einen Einsatz. Bei einem negativen Bescheid hätten die Deutschen keine Möglichkeit mehr, einen Spieler nachzunominieren. Die Frist läuft einen Tag vor dem Eröffnungsspiel ab.

Klinsmann nimmt dieses Risiko in Kauf. Er hat die Idee Lahm immer am Leben gehalten. „Philipp weiß, dass er bei uns als linker Verteidiger gesetzt ist“, hat Klinsmann immer wieder gesagt. Zwar fand er auch die Leistungen von Marcell Jansen „sehr beeindruckend“, doch der Mönchengladbacher konnte seine anatomischen Vorteile nicht entscheidend nutzen. Als Linksfuß hätte er dem Offensivspiel über die linke Seite einen anderen Dreh geben können. Doch weil Jansen durch das harte Training geschlaucht war, gelang es ihm in den Testspielen viel zu selten, sich gegen seine Gegenspieler durchzusetzen.

Lahm hat als Rechtsfuß auf der linken Seite einen natürlichen Hang zur Mitte, nach seiner langen Verletzungspause offenbar mehr noch als davor: Er zieht häufig mit dem Ball nach innen und flankt dann mit dem rechten Fuß zum Tor hin. „Der Eindruck täuscht“, sagt er. Gegen Kolumbien aber stieß er nur zweimal Richtung Grundlinie vor, viermal hingegen drehte er nach innen ab, zweimal verlor er dabei den Ball. Es ist daher keine große Überraschung, dass inzwischen die Idee geboren wurde, Lahm, der Rechtsfuß, würde vielleicht auch die Probleme auf der Position des rechten Außenverteidigers lösen können. „Das könnte ein Gedanke sein“, sagt Jürgen Klinsmann. „Im Moment ist er’s nicht.“ Philipp Lahm als rechter Außenverteidiger wird wohl weiter nur eine Idee bleiben.

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