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Bis hierhin und nicht weiter. Der Film „Offside“ von Jafar Panahi thematisiert das Stadionverbot für Frauen im Iran. Foto: Imago/United Archives

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Stadionverbot für Frauen im Iran: Mittendrin und doch im Abseits

Im Iran wird die Lockerung des Stadionverbots für Frauen diskutiert. Ein taktischer Zug – der Trend im Land geht in die Gegenrichtung.

Ein Mädchen bewegt sich im Inneren eines Fußballstadions. Es hat sich das Pappgesicht des ehemaligen Bayern-Spielers Ali Karimi übergezogen, um nicht als Mädchen erkannt zu werden. Aber offenbar ist ihr das nicht gelungen. Ein Sicherheitsmann führt sie ab und verlangt von ihr, die Augen zu schließen. Für sie soll es nichts zu sehen geben, keine athletischen Männerkörper, keine Tore, keine Fouls und auch nicht den Innenbereich des Stadions, gar nichts.

Die Szene stammt aus dem Film „Offside“ des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der in diesem Jahr mit „Taxi“ den Goldenen Bären gewann. Doch trifft hier Fiktion auf Realität. Panahis Tochter stand gewissermaßen Vorbild für den Film. Sie liebt Fußball; ihr Problem wie das vieler anderer Mädchen und Frauen im Iran ist: In ihrer Heimat dürfen sie dieser Leidenschaft nicht nachgehen. Der Besuch öffentlicher Männer-Sportveranstaltungen ist für Frauen bis auf wenige Ausnahmen verboten, seit Ruhollah Chomeini im Jahr 1979 die Islamische Revolution ausrief.

Das soll jetzt alles anders werden, zumindest vielleicht. So genau kann das derzeit keiner sagen. Die iranische Nachrichtenagentur Irna jedenfalls hatte jüngst berichtet, dass iranische Frauen sukzessive zu Sportveranstaltungen zugelassen werden könnten. Die Agentur berief sich auf den stellvertretenden Minister für Jugend und Sport, Abdolhamid Ahmad. Es dauerte nicht lange, bis ranghohe Regierungsmitglieder erklärten, dass dies noch längst nicht beschlossen sei. So könnte sich das noch hinziehen mit den weiblichen Fanscharen im Fußball oder anderen Sportarten im Iran. Dennoch zeigt die bloße Diskussion um die Aufhebung des Stadionverbots für Frauen, dass sich in dieser Hinsicht etwas tut in der Islamischen Republik.

Mehrere Gründe sprechen für eine Lockerung des Verbots, auch sportpolitische. Fifa-Präsident Joseph Blatter etwa, dessen Weltverband nicht gerade berühmt ist für einen ausgewogenen Frauenanteil, rügte Anfang März in einem Magazin das Stadionverbot. „So kann es nicht weitergehen. Mein Appell an die iranischen Behörden lautet: Öffnen Sie den Frauen in den nationalen Stadien die Tore“, schrieb er.

Die Forderung Blatters dürfte nicht zufällig wenige Wochen vor den Fifa-Präsidentschaftswahlen Ende Mai gekommen sein. Das Thema schlug seit jeher hohe Wellen, und der wahlkampfgestählte Blatter konnte damit nur Pluspunkte sammeln. Zuletzt hatte besonders der Fall Ghoncheh Ghavami weltweit für Empörung gesorgt. Die britisch-iranische Staatsbürgerin protestierte im Juni vergangenen Jahres vor den Toren einer Volleyball-Arena und wurde daraufhin von der Polizei brutal zu Boden geschlagen und anschließend festgenommen. Wohl auch aufgrund des öffentlichen Drucks wurde die Frau vor wenigen Tagen begnadigt.

Aber nicht nur Blatter, auch viele andere Akteure arbeiten sich in diesen Tagen und Wochen an dem Thema ab. Irans Sportfunktionäre zum Beispiel drängen auf eine Lockerung des Stadionverbots. Sie wollen sportliche Großveranstaltungen wie die Asienspiele ins Land holen. Zuletzt waren die Iraner mehrfach – auch aufgrund der Stadionverbote für Frauen – mit ihren Bewerbungen gescheitert.

Der renommierte Autor und Nahost-Experte James M. Dorsey glaubt zudem, dass die aufkommenden Diskussionen um die Stadienverbote „Teil des innerpolitischen Machtkampfs zwischen den konservativen und gemäßigten Kräften im Land“ seien. Im Zuge der erfolgreichen Atomverhandlungen konnte man den Eindruck gewinnen, dass der moderate Präsident Hassan Rohani und seine Mitstreiter eine Art politischen Paradigmenwechsel im Iran in Gang setzen könnten. Doch öffentlichkeitswirksame Entwicklungen wie die Atomverhandlungen mit den USA oder eben die Debatten um den Zugang von Frauen zu Sportveranstaltungen könnten den Blick verstellen auf die wahren Zustände im Land. Davor warnt Dieter Karg, der Sprecher der Iran-Koordinationsgruppe von Amnesty International.

„Der Trend in Sachen Frauenrechte geht in die andere Richtung“, sagt Karg und verweist auf zwei neue Gesetzesvorlagen. Das „Gesetz zur Steigerung der Geburtenraten und zur Verhinderung der Abnahme der Bevölkerung“ verbietet die Verhütungsmethode der Sterilisation, außer wenn das Leben der Frau in Gefahr wäre. Es untersagt außerdem – wörtlich – „jede werbende Information im Hinblick auf Verhütung“. Das „Umfassende Gesetz zur Bevölkerungsentwicklung und Aufwertung der Familie“ wiederum weist alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber an, Männer mit Kindern, verheiratete Männer und verheiratete Frauen mit Kindern für bestimmte Stellen bevorzugt einzustellen. Es verbietet konkret die Einstellung von Alleinstehenden als Lehrende an Schulen oder Universitäten, sollten keine qualifizierten verheirateten Bewerber vorhanden sein.

Hintergrund der Gesetzesvorschläge ist das Vorhaben des religiösen Führers Ayatollah Khamenei, die Bevölkerungszahl in etwa zu verdoppeln: auf mindestens 150 Millionen. Sollten die Gesetze ihren Weg durch die Institutionen finden, wären dies archaische Bestimmungen. Die Rolle der Frau wäre noch stärker als ohnehin schon auf jene begrenzt, Kinder zu gebären und diese großzuziehen.

Insofern kommt dem konservativen Klerus um Khamenei die Diskussion über eine Lockerung des Stadionverbots für Frauen gerade recht. Sie lässt die Welt glauben, der Iran arbeite an einer Ausweitung der Frauenrechte. Das Gegenteil könnte aber der Fall sein. Dann stünden die iranischen Frauen noch weiter im Abseits der Gesellschaft. Trotz Zugang zum Fußballspiel.

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