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Sport: Startbahn West

Mit unerwarteter Leichtigkeit behauptet sich Bochum an der Tabellenspitze – „weil wir genau wissen, was wir nicht können“

Von Erik Eggers

Ein großer Sieg, schrieb Friedrich Nietzsche 1873 in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“, sei eine große Gefahr. „Die menschliche Natur erträgt ihn schwerer als eine Niederlage; ja es scheint selbst leichter zu sein, einen solchen Sieg zu erringen, als ihn so zu ertragen, dass daraus keine schwere Niederlage entsteht." Nietzsche echauffierte sich damals über den überschäumenden Jubel nach dem Deutsch-Französischen Krieg, er sah darin die Vorzeichen des kommenden nationalen Untergangs.

Große Siege – davon künden seit jüngstem auch die Plakate unter dem Dach der Leverkusener Bayarena. Sie stilisieren und überhöhen die Erfolge des Klubs in der letzten Spielzeit, die Siege gegen Barcelona, Turin, Liverpool und Manchester, personifiziert durch Trainer Klaus Toppmöller, Bernd Schneider oder Oliver Neuville. Doch sind diese Ikonen vor allem eins: Vergangenheit. Denn sie bildeten einen brutalen Kontrast zur rauen Bundesliga-Wirklichkeit, in der sich Bayer Leverkusen nach der 2:4-Niederlage gegen den Aufsteiger VfL Bochum wiederfindet. Am Samstag war selbst das Wetter ein geeigneter Gradmesser für Bayers derzeitige Verfassung: Es regnete in Strömen.

Nur für die Bochumer schien die Sonne. Schon bevor sich Kollege Toppmöller nach langen Minuten zum Pressetermin quälte, konnte Bochums Trainer Peter Neururer eine klammheimliche Freude kaum verhehlen („Gibt es in diesem Verein keine Pressekonferenzen?"). Einige Monate zuvor war er noch, da er Toppmöllers Sohn Dino nicht regelmäßig eingesetzt hatte, vom gefeierten Kollegen in einem Interview kritisiert worden. Das hatte ihn – da es ein Verstoß gegen den Kodex, sich nicht in die Belange anderer Trainer einzumischen, war – geärgert („Klaus, halt mal bitte dein Maul. Du hast nicht alle auf dem Zaun. Misch dich nicht ein"). Und nun hatte sein Team den Champions-League-Finalisten blamiert mit seiner Spielfreude und einem geradezu unreflektierten Selbstbewusstsein. Nach drei Siegen in Folge ist Neururers VfL Bochum immer noch Tabellenführer. Mit Einsatz und Biss hatten sie das Leverkusener Spiel zerlegt, waren überlegen in den Zweikämpfen und sogar im taktischen Verhalten gewesen. Eigentlich waren die vier Tore durch Gudjonsson, Wosz, Fahrenhorst und Christiansen noch zu wenig Ausdruck der irritierenden Überlegenheit des Außenseiters, der dazu noch 0:1 in Rückstand geraten war. Erneut beklagte Neururer, dessen Mannschaft bisher im Schnitt vier Tore pro Spiel schoss, allen Ernstes die mangelnde Chancenverwertung.

Ob er damit gerechnet habe, dass die Abseitsfalle die Leverkusener Offensive lähmen könnte? „Ja, natürlich“, sprach der Trainer selbstbewusst, „so war das geplant, so haben wir trainiert, so waren wir ausgerichtet." Es spricht für die Chuzpe des Bochumer Trainers, wenn für ihn nur das eingetreten war, was „ich vorher gesagt habe und was die Mannschaft etwas ungläubig zur Kenntnis nahm: Heute haben wir eine Chance!“ Neururer machte auch etwas deutlich, was er vom arroganten Auftreten der Leverkusener hielt: „Im Gegensatz zu anderen Mannschaften wissen wir genau, was wir nicht können.“ Er hätte auch sagen können: „Leverkusen hat nicht gekämpft.“ Eine subtile Retourkutsche für Toppmöllers Kollegenschelte.

Offenbar hatte es Neururer nicht gefallen, dass die beiden ersten Bochumer Siege gegen Nürnberg und Cottbus nicht ausreichend Würdigung fanden. Denn „in der Bundesliga“, sagte Neururer, „gibt es doch keine Na-ja-Siege." Aber auch nach dem Triumph beim Favoriten hob der einst so lautsprecherische Coach nicht ab. „Wir haben uns lediglich punktemäßig von Mannschaften aus unseren Regionen etwas entfernt“, sagte er demütig, nach wie vor wären in Bochum alle glücklich, „wenn wir am Ende auf dem 15. Tabellenplatz stehen". Gleichwohl hätte sich der Verein nun „die Möglichkeit geschaffen, um an unserem Image zu arbeiten".

Dass viele schon nach dem nächsten Heimspiel gegen den Meister aus Dortmund fragten, brachte Neururer fast in Rage. „Für uns zählt jetzt nur das Pokalspiel in Aue“, sagte er, und mit scharfem Unterton verbat er sich jegliche weitere Nachfrage. „Denn wenn das, was einige hier den Leverkusenern unterstellen, passiert – sprich: den Gegner zu unterschätzen –, dann fallen wir verdammt tief.“

In der Tat: Ein großer Sieg ist eine große Gefahr.

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