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Sport: Statt des erhofften Teamgeistes ein Reizklima

DORTMUND .Spätestens für den Herbst dieses Jahres plant der Fußball-Weltpokalsieger von 1997 den Gang an die Börse.

DORTMUND .Spätestens für den Herbst dieses Jahres plant der Fußball-Weltpokalsieger von 1997 den Gang an die Börse.So, als sei der Handel mit den schwarz-gelben Wertpapieren bereits eröffnet worden, kalkuliert Dr.Gerd Niebaum (50) schon heute.In seiner sportlichen Gewinn- und Verlustrechnung für den Rest der Saison hält der Präsident von Borussia Dortmund Kursschwankungen wie auf dem Neuen Markt für möglich - mit kräftigen Ausschlägen nach oben wie unten.

"Bis zum zweiten Platz ist theoretisch noch alles drin", sagt der Wirtschaftsjurist, der seit zwölf Jahren an der Spitze des BVB steht, "schlimmstenfalls können wir aber auch bis auf den 12.Rang abstürzen".Eine verläßlichere Prognose läßt die rätselhafte Instabilität (zu Hause temperamentvoll und erfolgreich, auswärts zaudernd und drucklos) seiner hoch bezahlten Angestellten nicht zu.Ihr launisches Auftreten wiegt in der Tabelle weiter vorn positionierte Vereine wie Leverkusen, Kaiserslautern oder 1860 München in Sicherheit; den Vergleich mit dem FC Bayern sucht Dortmund ohnehin erst im nächsten Jahr."Wir müssen den Anspruch erheben, dann wieder führend zu sein", formuliert Niebaum.

Vor dem Wiederbeginn der Meisterschaft spuckt die Tabelle den Traditionsklub aus dem Ruhrgebiet als Fünften aus - was exakt den bescheiden formulierten Vorgaben entspricht und doch niemanden in Hochstimmung versetzt.Schleppender, als von manchem Optimisten erhofft, verläuft die Umgestaltung der Mannschaft, die nach einem in der Bundesliga gründlich verpatzten Vorjahr (Platz 10) noch nach einer neuen Identität sucht.

Kaum mehr als gründliche Oberflächenpolitur wurde bisher bei der Borussia betrieben, die ihren Kader mit insgesamt zehn neuen Spielern, zuletzt mit Jens Lehmann (vom AC Mailand) und Miroslav Stevic (1860 München), aufforstete.Den parallel von Niebaum erträumten Teamgeist zu entwickeln, "wie ihn die Dänen 1992 bei der Europameisterschaft hatten", gelang nicht.

Statt dessen entstand ein Reizklima, dem unzufriedene Spieler Vorschub leisteten.Von Trainer Michael Skibbe seiner jahrelangen Immunität beraubt, drohte Stéphane Chapuisat unverhohlen mit dem Weggang.Heiko Herrlich, der sich "fallen gelassen" fühlte, stornierte erst in letzter Minute seinen (Ab-)Flug zu Hertha BSC.Auch der inzwischen zu Tottenham Hotspur transferierte Steffen Freund probte den Aufstand - und zog den kürzeren.Allen die Schau freilich hat Thomas Häßler gestohlen.Seine Leidensgeschichte, die in dieser Woche mit einer Virusinfektion ihre traurige Fortsetzung erfuhr, wurde zum künstlich angeheizten Dauerbrenner in Dortmund.

Daß Skibbes Entscheidungen in fast allen Fällen fachlich begründbar waren, fiel unter den Tisch.Trotz scharfer Kritik behielt Dortmunds junger Trainer seine Linie bei und ließ Köpfe rollen.Vor unpopulären Entschlüssen hat er sich in seiner jetzt achtmonatigen Dienstzeit nie gedrückt.Das brachte ihm Respekt ein.Der sich noch erheblich steigern würde, wenn Skibbe das größte Problem der Borussia lösen könnte, "unsere Auswärtsschwäche".

Der neunte Versuch, den Knoten endlich zu durchschlagen und den ersten Sieg in der Fremde zu landen, startet im Olympiastadion.Dort bleibt aus dem Star-Aufgebot des BVB wieder einer auf der Strecke, Christian Nerlinger oder Aufsteiger Wladimir But, der von Musterprofis wie Jürgen Kohler gelegentlich auf seine Pflichten aufmerksam gemacht werden muß.Es ist gleich eine Nagelprobe.Nur wenn der Verlierer dieses Zweikampfes seine Enttäuschung nicht umgehend in die Öffentlichkeit trägt, besteht aus Dortmunder Sicht Hoffnung, daß die Spieler die Vorrunden-Lektion begriffen haben.Und wieder einen klaren Kurs einschlagen: nach oben.

ALEXANDER NAGEL

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