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STEILPASS Inland: Wie hältst du’s mit der Nähe? Stefan Hermanns über Thomas Tuchel

und seinen antiautoritären Kurs

Am vergangenen Sonntag, mitten in den Jubeltrubelfeierlichkeiten des FSV Mainz 05, war im Fernsehen ein kleines bemerkenswertes Detail zu beobachten. Das Spiel der Mainzer in Leverkusen war gerade abgepfiffen, Ersatzspieler, Trainer und die restliche Entourage hüpften fassenachtsselig auf den Platz, da nahm Lewis Holtby eine Trinkflasche und spritzte seinem Trainer Thomas Tuchel einen Strahl Wasser über den Scheitel. Noch bemerkenswerter als Holtbys fiese Attacke von hinten war Tuchels Reaktion: Er lachte.

Tuchel ist jung, seine Mannschaft noch ein bisschen jünger. Hinzu kommt, dass Mainz 05 nicht einfach nur ein Verein ist, sondern eine Einstellung. Das alles führt fast zwangsläufig zu bestimmten Umgangsformen, und man kann Tuchel nur schwer vorwerfen, dass sein antiautoritärer Kurs der Mannschaft bisher in irgendeiner Weise geschadet hätte. Tuchel besitzt offenbar ein Gespür für seine Spieler, vor allem schafft er es, ihnen seine Ideen zu vermitteln. Das ist doch das Entscheidende, und nicht die Frage, ob jemand harter Hund ist oder einfühlsamer Spielerversteher.

Jeder Trainer muss für sich entscheiden, wie er es mit der Nähe zu seinem Team hält. Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Joachim Löw zum Beispiel hat sich als junger Trainer in Stuttgart nach dem Pokalsieg von seinen Spielern in aller Öffentlichkeit eine Glatze scheren lassen; heute würde er sich das entschieden verbitten. Es ist eine Frage der Erfahrung – man könnte auch sagen: ein Ausdruck der Reife.

Thomas Tuchel hat in dieser Saison bewiesen, dass er auf dem besten Weg ist, ein außergewöhnlicher Trainer zu werden. Aber dieser Weg ist für ihn noch lange nicht zu Ende. Eine wichtige Erfahrung steht ihm erst noch bevor: Irgendwann wird Thomas Tuchel Mainz hinter sich lassen müssen. Und das ist nicht geografisch gemeint.

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