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Stiloffensive (4): Das geht ins Auge

An dieser Stelle schreibt Verena Friederike Hasel im Wechsel mit Esther Kogelboom über die modischen Verirrungen bei der EM. Heute: Über praktische Allzweckmetaphern.

Man muss es einmal sagen, die Tosca ist eine zutiefst verkannte Person. Kapriziös, eifersüchtig, hysterisch – das ist das Bild, das wir von Floria Tosca, Protagonistin der Puccini-Oper, haben. Wer weiß schon von ihren sportlichen Qualitäten, wer macht sich klar, was sie als Weitspringerin leistete. Im dritten Akt begeht sie Selbstmord, stürzt sich aus der Engelsburg – und landet im Tiber. Zwischen Burg und Fluss liegen an die hundert Meter. Der derzeitige Frauenweltrekord beträgt 7,52 Meter. Das kann doch nicht angehen, sagte Puccini damals zu Victorien Sardou, der das Drama La Tosca schrieb. Und Sardou, selbst leicht hysterisch, schrie: Warum, bitteschön, soll das nicht möglich sein?

Vielleicht also soll das Auge auf der Bregenzer Seebühne, wo das ZDF sein EM-Studio aufgebaut hat, an sportliche Heldentaten gemahnen, es ist nämlich Teil des Tosca-Bühnenbildes der dortigen Festspiele. Sie waren schon immer sehr bildgewaltig, in „Königin der Nacht“ stand einmal ein riesiges Campariglas mit Zitronenscheibe auf der Bühne. Auch das hätte zur fußballerischen Umnutzung getaugt, so ein Glas ist gutes Utensil für eine Weißbierdusche. Mit dem Auge hatte das ZDF aber spezielles Glück, denn es passt perfekt zum Senderslogan „Mit dem Zweiten sieht man besser“. Bebildert wird dieses Motto meist von Prominenten, die sich ein Auge zuhalten. Dass ihr verbleibendes offenes Auge nicht die Senderfarbe Orange hat, ist wohl der prominenteneigenen Zickigkeit geschuldet („Was? Ihr wollt mein wunderschönes kornblumenblaues Auge einfärben? Na gut! Das kostet zwei Milliarden Euro extra!“), das Tosca-Auge konnte sich nicht wehren, es war einmal blau, nun schimmert es wie eine Mischung aus Urin und Bernstein.

Vielleicht tun wir dem ZDF auch Unrecht und der Sender will gar nicht werben. Das Auge sei eine tolle Metapher, befand der neue „James Bond“-Regisseur Marc Forster neulich, als er vorm Tosca-Auge drehte, und ja, das ist es, egal für was. Könnte im vorliegenden Fall zum Beispiel ein versteckter Ruf nach einer „Hawk eye“-Maschine wie im Tennis sein, die Bälle im Aus erkennt – hochaktuell, weil der erste deutsche Treffer ein bisschen nach Abseitstor aussah. Könnte auch orwelleske Kritik an Überwachung durch Telekom und Lidl sein. Ist vielleicht einfach nur eine Hommage an Klaus Augenthaler, genannt Auge, ein ebenso verkannter Mensch wie Tosca. 1990 war Auge bei der WM dabei, heute ist er arbeitslos.

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